Nathalie Schneitter berichtet von der E-MTB WM in Leogang und geht dabei insbesondere drauf ein, wie eine wahrlich suboptimale Vorbereitung gleichzeitig auch Chance sein kann. Viel Vergnügen beim Rennbericht über die Schlammschlacht in Österreich!
Ein Mountainbike Rennen – das bedeutet für mich, in den mentalen Krieg gegen mich selber zu ziehen. Ich habe den Anspruch, optimal vorbereitet an der Startlinie zu stehen und gleichzeitig brauche ich dieses Gefühl, um alle Selbstzweifel hinter mir zu lassen. Dieses fragile Konstrukt wurde durch eine unerwartete 10-tägige Quarantäne direkt vor der WM arg ins Schwanken gebracht. Zu Corona-Zeiten ist es halt leider so, dass eine COVID-Erkrankung im Familien- oder Freundeskreis für einen selber Hausarrest bedeuten kann – und das, ohne dass man selbst von einer Infektion betroffen ist.
Man kann den Spieß aber auch umdrehen – wer weiß, ob mir die missliche Quarantäne-Situation nicht überhaupt erst erlaubte, als amtierende Weltmeisterin den vermeintlichen Druck der Titelverteidigung hinter mir zu lassen? Denn nach der ersten Enttäuschung und der Wut, hervorgerufen durch die Quarantäne-Situation, folgte Akzeptanz, verbunden mit viel Kampfwillen. Mit dem Rücken zur Wand funktioniere ich meistens am besten und so lege ich den Fokus auf das, was ich tatsächlich beeinflussen kann. Als Athlet kann man nichts anderes machen, als sich Herausforderungen zu stellen und nie das Ziel aus den Augen zu verlieren. Meistens ist das aber einfacher gesagt als getan, und so verliert man sich zu oft in Details und Fragestellungen, die sich im Nachhinein als irrelevant erweisen. Viel Kopfkino, das mir aufgrund der Quarantäne erspart geblieben ist.
Nach dem Absitzen der Quarantäne reise ich aus der Schweiz ins Salzkammergut und nehme in Leogang die Besichtigung der E-MTB WM-Strecke in Angriff. Leicht eingerostet von der fehlenden Fahrpraxis im Gelände, bereue ich bereits in der ersten Abfahrt meine Reifenwahl. Eine Woche Dauerregen hat die Strecke in ein Schlammbad verwandelt und anstatt eines leichten Cross Country Reifen (wie ich ihn letztes Jahr bei meinem WM-Triumph gefahren bin), montiere ich nun den fettesten Schlammreifen, den ich finden kann. Ein leichter Reifen kann am Berg genau das Prozent Performance bringen, das über Sieg und Niederlage entscheidet. Bei den garstigen Wetterbedingungen zeichnet sich aber ab, dass die richtige Reifenwahl eine Schlüsselrolle spielt und diesmal Traktion das A und O sein wird.
Zwei Streckentrainings stehen uns zur Verfügung. Der Boden wird immer tiefer und die Wurzeln blanker. Der Kurs à 4 Kilometer mit rund 230 Höhenmeter wird mit jeder absolvierten Runde schwieriger zu fahren. Die Strecke, die bei trockenen Bedingungen für ein E-Mountainbike-Rennen viel zu einfach wäre, entwickelt sich zu einer echten Herausforderung. Dass E-Racing vor allem dann Sinn macht, wenn die Strecken so schwierig sind, dass sie ohne E-Unterstützung kaum zu bewältigen wären, ist kein Geheimnis. Die E-MTB mit 160 mm Federweg sollen schließlich nicht nur in den Abfahrten gefordert werden, sondern vor allem auch in technischen Aufstiegen. Leogang hat in dieser Hinsicht Glück, denn die Wettergötter liefern mit Dauerregen ihren Teil dazu, die Strecke anspruchsvoll zu machen.
Natürlich wird im Spitzensport an jedem Detail geschraubt. Und da E-Racing ein Teamsport ist, stehe nicht nur ich als Athlet im Mittelpunkt, sondern auch mein Teampartner, das e-powered Kampfgefährt. Nur wenn das Zusammenspiel von uns beiden harmoniert, können wir als Team erfolgreich sein. Logisch also, dass es nicht nur Dopingkontrollen für uns Athleten gibt, sondern auch für die E-Bikes. Eine Softwarediagnostik ist Pflicht und auch das genaue Abmessen des Radumfanges des Hinterrads, um die maximale Unterstützungsgeschwindigkeit von 25 km/h sicherzustellen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich die Athleten bereits vor dem Bike-Check entscheiden müssen, welchen Reifen sie im Rennen fahren wollen. Auch die Ersatzräder müssen dementsprechend markiert werden. Bei den sintflutartigen Regenfällen ist klar, dass am Vorderrad der krasseste Schlammreifen drauf muss, der sich finden lässt. Doch die Reifenwahl fürs Hinterrad bereitet mir Kopfzerbrechen. Denn mehr Grip bedeutet gleichzeitig schlechtere Rolleigenschaften.
Ich checke den Wetterbericht und der Regen scheint kein Ende zu nehmen. So entscheide ich mich für einen Allrounder-Reifen am Hinterrad. Sofern der Matsch flüssig bleibt, eine gute Wahl. Trotz der erwarteten kurzen Renndauer von ca. 60 Minuten entscheide ich mich, die «größere» Batterie mit 625 Wattstunden zu fahren. Die Batterie bedeutet Reichweite, aber auch mehr Gewicht als die 500 Wh Batterie. Da jede Batterie jedoch in den letzten 25 % an Spannung verliert, entscheide ich mich für die sichere Variante. Es wäre nichts ärgerlicher, als eine WM-Medaille wegen schlechtem Batteriemanagement zu vergeben.
Die letzten Stunden vor dem Start flattern die Nerven wie Schmetterlinge beim Frühlingserwachen. Ich versuche, mich mit bewusster Atmung zu beruhigen, doch mein Herz rast und überschlägt sich fast vor lauter Nervosität. Das Aufwärmen beruhigt mich etwas und bringt mich in den Tunnel, den es für Spitzenleistungen braucht. Ich finde den Fokus, fühle den Flow. Weder die Maskenpflicht bis zur Startbox noch die fehlenden Zuschauer und damit die fehlende Renn-Atmosphäre bringen mich aus dem Gleichgewicht.
Als der Startschuss fällt, gilt nur noch eines: die Flucht nach vorne! Ich weiß, dass das Rennen heute großteils durch Fehler entschieden wird: Fahrtechnikfehler und Stürze, die im Schlamm und bei zunehmender Müdigkeit normal sind. Fehler macht man aber nicht nur selbst, sondern man wird oftmals auch durch die Fehler von den Konkurrenten behindert. Je weiter vorne im Feld, umso besser.
Technische Aufstiege sind meine Paradedisziplin und es gelingt mir, bereits im ersten Aufstieg ein paar wenige Sekunden Vorsprung herauszufahren. Ich fokussiere mich auf meinen Job, meistere die erste Runde bravourös und nach der ersten von vier Runde liege ich an der Spitze des Rennens. Titelverteidigung? Daran verschwende ich keinen einzigen Gedanken, denn die Abrechnung wird erst im Ziel gemacht.
Rennsport ist unverzeihlich, keine Fehler sind erlaubt und manchmal verzockt man sich trotz der besten Vorbereitung. In der zweiten Runde hört der Regen auf und von Minute zu Minute wird der Schlamm dicker. Meine Reifenwahl, die in der ersten Runde noch goldrichtig war, entpuppt sich immer mehr zum Handicap. Nach Runde zwei liege ich zwar noch immer an der Spitze des Rennens, doch es zeichnet sich ab, dass ich in den Aufstiegen nicht so viel Zeit herausfahren kann, wie ich in den Downhills verliere. Ende der dritten Runde überholt mich Mélanie Pugin spektakulär und lässt mich in der Abfahrt einfach stehen. Wer Mélanie nicht kennt: Die Frau hat im September die Enduro World Series in Pietra Ligure gewonnen und hat sich in diesem Jahr einen Stern vom Enduro-Himmel geholt. Dass sie mich so stehen lässt, ist also keine Schande und eine Verwunderung schon gar nicht. Mélanie macht keinen Fehler und nutzt ihre Downhill-Stärken gekonnt, um ihre Schwächen am Berg zu kompensieren. Eine Leistung, die an diesem Tag diskussionslos Gold verdient.
Mit null Grip am Hinterrad verliere ich in der letzten Runde auch noch den Kampf um Silber. Aber halt: Ich habe Bronze gewonnen. Aus der Quarantäne aufs WM-Podium ist nun wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Und noch viel wichtiger: Mit der Gewissheit, dass ich in der Vorbereitung alles gegeben habe, bin ich mit viel Selbstvertrauen und einer gigantischen Form an der WM-Startlinie gestanden. Am Renntag waren jedoch zwei andere Mädels noch einen Ticken schneller. Traurig? Keineswegs! Ich bin stolz auf meine Leistung und total begeistert, dass E-XC Rennen in den Abfahrten entscheiden werden können – genau so soll Rennsport sein: Spannend und spektakulär!
Zwei E-Bike Weltmeisterschaften habe ich in den Beinen und sie hätten unterschiedlicher nicht sein können. Spaß haben sie beide gemacht und die E-Begeisterung wächst bei mir weiter! Der nächste Krieg gegen mich selber kann kommen …
E-Bike Rennen im Matsch – wer hätte Bock?
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