Jede Menge los in der Bike-Industrie: Kettler baut eine neue Fabrik in St. Ingbert, das Konsumklima ist gerade eher nicht so gut und es gibt Hickhack um eine Übernahme. Dies und viel mehr gibt es in dieser Ausgabe von Bike Biz Backstage.
Konsumklima im Keller
Schritt für Schritt fallen auch in Deutschland die pandemiebedingten Einschränkungen im Alltag. Dadurch sollte sich eigentlich die Konsumentenstimmung verbessern. Stattdessen sackte dieser von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) monatlich erhobene Index dieses Frühjahr auf neue Tiefstwerte ab. Dafür sorgten steigende Preise, insbesondere für Energie und Nahrungsmittel, sowie die Unsicherheit, über die weitere Entwicklung der Konjunktur und des eigenen Einkommens.
Eine wesentliche Rolle spielen dabei der Krieg Russlands gegen die Ukraine und wochenlange Lockdowns in wichtigen Industriezentren Chinas wegen der Omikron-Variante. Immerhin zeigen die neusten Zahlen der GfK eine Stabilisierung des Konsumklimas, wenn auch auf einem sehr tiefen Niveau. Für eine echte Verbesserung seien ein Ende des Krieges in der Ukraine und Schritte der Europäischen Zentralbank zur Eindämmung der Inflation notwendig.
Mahle fertigt Hilfsantriebe in Slowenien
Mit der Übernahme des spanischen Herstellers Ebike Motion erweiterte Mahle als bekannter Zulieferer der Automobilindustrie im Oktober 2018 das Produktportfolio um Hilfsantriebe für leichte Pedelecs. Für das Modelljahr 2023 kommt nun der „X20“-Hilfsantrieb auf den Markt, der nochmals kompakter geworden ist und mit 3,2 Kilogramm für das komplette System eine neue Marke beim Gewicht setzt.
Die Produktion dieses Antriebs erfolgt nicht in Fernost, sondern nah an den Absatzmärkten im slowenischen Šempeter pri Gorici. Die dortige, bestehende Fertigung von Mahle für elektrische Antriebssysteme wurde um eine Montagelinie ausgebaut und um 20 Arbeitsplätze erweitert. Für die kommenden Jahre erwartet Mahle Smartbike, die Pedelec-Abteilung des Konzerns, ein Umsatzwachstum im mittleren, zweistelligen Millionenbereich.
Kettler Alu-Rad: Fabrikbau im Plan
Trotz Verknappung und steigenden Preisen bei Baumaterialien konnte Kettler Alu-Rad beim Bau der neuen Fabrik in St. Ingbert den Zeitplan nach eigenen Angaben zu 98 Prozent einhalten. In diese Fertigungsstätte, die diesen Herbst offiziell eingeweiht werden und Maßstäbe in Sachen moderner Fahrradfertigung setzen soll, wurden 80 Millionen € investiert. Dabei wird der ökologische Fußabdruck mit modernster Gebäudetechnik, Wärmerückgewinnung und Photovoltaik-Anlagen so klein wie möglich gehalten.
Die ersten E-Bikes der Marke Kettler wurden bereits in der neuen Fertigungsstätte assembliert. Einmal in Vollbetrieb, sollen in St. Ingbert mehr als 130.000 Pedelecs pro Jahr produziert werden. Laut Kettler Alu-Rad werden dabei bis zu 300 neue Arbeitsplätze geschaffen. Reporter vom Saarländischen Rundfunk durften die Anlage bereits in Augenschein nehmen – der entstandene Videobeitrag ist in der SR-Mediathek zu finden. Link zum Video: www.sr-mediathek.de
TVS Motor setzt Einkaufstour fort
Der indische Konzern TVS Motor befindet sich weiter auf Einkaufstour in Sachen Pedelecs. Nach den Übernahmen von Ego Movement und der Swiss E-Mobility Group mit den Marken Allegro, Cilo, Simpel und Zenith Bikes sowie dem Pedelec-Filialisten m-Way in der Schweiz folgt nun ein Engagement in Großbritannien. Dabei übernimmt TVS Motor 70 Prozent der Anteile an Ebco – für einen Kaufpreis von 1,39 Millionen €. Dieses Unternehmen fertigt selbst E-Bikes mit Nabenmotoren für Stadt und Gelände und ist zudem der Vertriebspartner von IKO-Corratec in Großbritannien.
Großkonzern steigt ins Pedelec-Geschäft ein
Mit der Midea Group steigt ein Technologiekonzern aus China mit einem Jahresumsatz von über 35 Milliarden € und mehr als 150.000 Angestellten in das Geschäft mit Hilfsantrieben für E-Bikes ein. Und zwar durch die Übernahme des in Hong Kong ansässigen Produzenten Ttium Motor. Dieser verfügt auch über eine Entwicklungsabteilung in Wuhan und hat sich bisher auf den chinesischen Heimmarkt konzentriert. Mit dem Bau einer Fertigung in der vietnamesischen Provinz Binh Duong hat Ttium Motor zuletzt aber auch Ambitionen in Sachen Export gezeigt.
Unter der Marke Motinova bietet der Hersteller Mittelmotoren mit wahlweise 250 oder 500 Watt Leistung und 80 oder 100 Nm Drehmoment an – sowie eigene Display- und Batterielösungen. Zudem verfügt Ttium mit Welling über eine zweite, preislich wie qualitativ etwas höher positionierte Marke. Durch die Übernahme erhält Ttium Motor Zugang zu den umfangreichen Entwicklungsressourcen der Midea Industrial Group als einem von fünf Geschäftsbereichen des neuen Mutterkonzerns.
Antidumping-Strafzölle geben zu reden
Die 2019 eingeführten Antidumping-Strafzölle der EU gegen in China produzierte Pedelecs sorgten in den vergangenen Wochen gleich mehrfach für Aufsehen: Im März wurde ein Fahrradhändler aus Wien vom Landesgericht Wien zur Zahlung einer Geldstrafe von über 400.000 € verurteilt. Der Mann hatte über 2000 in China gefertigte Pedelecs nach Österreich eingeführt und verkauft. Um die Antidumping-Strafzölle zu umgehen, hatte er als Herkunft der E-Bikes fälschlicherweise Bangladesch angegeben.
Nochmals eine Nummer größer ist das Verfahren, welches die Zollbehörden der Region Venetien gegen den Fahrradproduzenten Bottecchia eröffnet haben. Bei einer Razzia am Firmensitz wurden Waren im Wert von über 2 Millionen € beschlagnahmt. Der Vorwurf an Bottecchia lautet, dass man in China produzierte Pedelecs in mehrere Teile zerlegt eingeführt, in Italien wieder aufmontiert und danach als „made in Italy“ auf den Markt gebracht habe – auch hier, um die Antidumping-Strafzölle zu umgehen. Als CEO von Bottecchia Cicli wehrt sich Diego Turato mit Nachdruck gegen die erhobenen Anschuldigungen und spricht seinerseits von Rufschädigung.
Als nach Umsatz größter Fahrradproduzent der Welt lässt Giant auch in fünf Fabriken in China fertigen. Im Zuge der Ermittlungen zu Dumpingvergehen kamen EU-Behörden zum Schluss, dass auch Giant Electric Vehicle Kunshan zu den Wettbewerb verzerrenden Methoden greife – und verhängten darum Strafzölle in Höhe von 24 Prozent des Warenwertes. Gegen diese Entscheidung hatte Giant bereits Ende 2017 Einspruch erhoben und nun bekam der Fahrradhersteller vom EU-Gerichtshof recht. Dieser kam zum Schluss, dass sich die zuständigen Behörden auf fehlerhafte Methoden gestützt hätten und darum zu nicht zulässigen Schlüssen gelangt seien. Die verfügten Strafzölle seien somit für Giant Electric Vehicle Kunshan nichtig. Aus Sicht von Leva-EU, der Vereinigung der europäischen Importeure leichter Elektrofahrzeuge, stellt dieses Urteil die gesamten Antidumping-Strafzölle der EU gegen in China produzierte Pedelecs infrage.
Österreich: Fahrradmarkt folgt DACH-Trend
Die offiziellen Zahlen des Verbands der Sportartikelerzeuger und Sportausrüster Österreichs (VSSÖ) zum Fahrradmarkt in der Donaurepublik zeigen das gleiche Muster wie schon in Deutschland und der Schweiz: Das Rekordniveau der verkauften Fahrräder oder Pedelecs von 496.000 Stück aus dem Vorjahr konnte mit 490.394 Stück nicht ganz erreicht werden. Das lag aber eher an Versorgungsengpässen als an einer schwächeren Nachfrage. Wie in den beiden Nachbarländern sorgten nur konventionelle Fahrräder für diese Abnahme bei den Stückzahlen, während nochmals mehr Pedelecs verkauft wurden und deren Marktanteil von knapp 41 auf über 45 Prozent stieg. Dadurch stieg auch der Durchschnittspreis pro verkaufter Einheit um 18.4 Prozent von 1.770 auf 2.095 €. Als Folge davon übertraf der mit dem Verkauf von Fahrrädern und Pedelecs erzielte Umsatz in Österreich erstmals überhaupt die Marke von einer Milliarde Euro.
Hickhack um Übernahme der Accell Group
Ende Januar unterbreitete ein vom Investmentunternehmen Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR) angeführtes Konsortium ein Übernahmeangebot für die Accell Group. Dieses sah den Kauf aller Aktien für 58 € pro Stück vor, nach der Übernahme sollte die Accell Group von der Börse genommen werden. Zunächst rührte sich kaum Widerstand gegen dieses Angebot, das die Accell Group auf 1,56 Milliarden € valierte. Doch dann meldete sich in einem Interview mit der Publikation Financieel Dagblad ein Experte zu Wort, der dieses Angebot für klar zu tief hielt – schließlich hatte die Accell Group 2021 einen Umsatz von 1,3 Milliarden € erzielt.
Angesichts des Potenzials für Fahrräder und Pedelecs sah dieser Experte 70 € als angemessenen Preis pro Aktie. Dem hielt der Vorstand der Accell Group entgegen, dass der Wert der Aktien der wichtigsten Mitbewerber in den vergangenen drei Monaten um 20 bis 25 Prozent nachgegeben habe. Prompt meldete mit Moneta ein französischer Investor, der 7 Prozent der Accell-Aktien hält, Widerstand gegen das Übernahmeangebot. Damit sind die Franzosen nicht alleine, denn bei der Aktionärsversammlung erklärten sich nur 63 % mit dem Angebot von KKR einverstanden. Experten sehen 80 % als Minimum an Unterstützung an, um die Anliegen allfälliger Gegner schlicht ignorieren zu können. Mit anderen Worten: Diese Übernahme ist noch längst nicht in trockenen Tüchern, zumal sich zuletzt auch Gewerkschaften skeptisch äußerten.
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