Bei der ersten UCI E-Bike WM 2019 holte sie sich Gold. In diesem Jahr ergatterte unsere Gastautorin Nathalie Schneitter bei der offiziellen UCI E-MTB Weltmeisterschaft im französischen Les Gets die Bronzemedaille! Dies ist ihr Rennbericht.
Les Gets 2022 – der Prolog
Meine Geschichte zur UCI E-Bike WM 2022 startete fast genau vor einem Jahr. Damals fuhr ich bei der E-MTB WM im italienischen Val di Sole eine Schlappe ein: Gezeichnet von zu viel Arbeit im Büro, zu wenig Trainingszeit und durch einen Sturz angeknackste Rippen, fuhr ich in Val di Sole kraftlos meine Runden. Mit logischer Konsequenz war ich dann auch meilenweit weg von einem Podiumsplatz. Damals schwor ich mir Revanche und dass ich im Folgejahr meine Work-Life-Trainings-Balance besser im Griff haben werde. Solche Entschlüsse sind jedoch schneller gefasst als umgesetzt und unterwegs gab es einige Stolpersteine zu bewältigen. Doch ich blieb meinen Entschluss treu und schmiedete einen cleveren Plan, um am 26. August 2022 bestmöglich vorbereitet, an der Startlinie der E-Cross Country WM im französischen Les Gets zu stehen. Das Ziel: meiner E-Bike Rennkarriere einen versöhnlichen Abschluss schenken.
18 Jahre Les Gets: Ein Kreis schließt sich.
Les Gets ist für mich ein besonderer Ort. Im Jahr 2004 wurde ich dort in einem dramatischen Rennen Juniorinnenweltmeisterin, der Startschuss zu meiner Rennfahrerinnen-Karriere. Fast auf den Tag genau 18 Jahre später kehre ich nun erstmals nach Les Gets zurück. Ich bin doppelt so alt und im Herbst meiner Karriere. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich 18 Jahre später noch immer Rennen fahre und dies auf einem E-Mountainbike – ich hätte kein Wort davon geglaubt.
Les Gets – das Training
So stehe ich nun in Les Gets und die Emotionen sind intensiv. Ich freue mich auf das Rennen, bin gut vorbereitet, wahnsinnig nervös und bei den ersten Trainingsrunden auf der Strecke maßlos überfordert. Etliche Rockgarden und Steigungen mit Step-Ups sowie steilen, engen Kurven prägen die Runde. Zum Glück bin ich aber bereits am Montag vor Ort und es stehen mir bis zum Rennen am Freitag vier Streckentrainings zur Verfügung. Vier Runden drehe ich am Montag und ich bin froh, dass ich meinen Schweizer Teamkollege Joris Ryf zur Seite habe, der sich Zeit nimmt für das gemeinsame Linienstudium. Die Runde hat so viele Kurven und Linien, dass ich nach vier Runden zwar noch immer nicht weiß, wo es lang geht – aber zumindest langsam in den Flow komme.
Über die nächsten drei Trainingstage fühle ich mich immer besser und am Mittwoch habe ich endlich auch meinen Protegé zur Seite: Innerhalb des letzten Jahres habe ich nämlich nicht nur dem Sport mehr Priorität eingeräumt in meinem Leben, sondern auch die amtierende Weltmeisterin Nicole Göldi aus der Schweiz sportlich adoptiert. Dass Nicole eine Klasse-Rennfahrerin ist, die auch ohne meine Hilfe schnell ist, das steht außer Frage. Doch einige Tipps und Tricks haben ältere Semester wie ich halt schon drauf – auch wenn es nur darum geht, den Spaß an der Sache nicht zu verlieren und den Druck nicht übermächtig werden zu lassen. Das Duo Göldi-Schneitter jagt sich in Les Gets also gegenseitig etliche Runden über die Strecke, bis alle Linien passen!
Der Renntag: Wie viel ist 6 mal 2,6?
Gut vorbereitet stehen wir am Freitag, 10:00 Uhr an der Startlinie. Sechs Mal gilt es die Runde zu bewältigen, die nur 2,6 Kilometer lang ist und 125 Höhenmeter misst. Diese Eckdaten wirken auf den ersten Blick sehr bescheiden, doch Mountainbiker wissen, dass der fahrtechnische Schwierigkeitsgrad schlussendlich darüber entscheidet, wie lange man für eine Runde benötigt und wie ermüdend diese ist. Mein Herz schlägt laut auf der Startlinie, denn die Startphase ist für mich schwierig, hier haben die jungen Wilden die Nase vorn. Ich verschlafe den Start prompt und bringe Körper und Geist nur zäh in Bewegung. Ganz kurz kommt der Gedanke auf: So ein Sch****, da ist doch eh schon alles verloren. Doch ich reiße mich zusammen, erinnere mich daran, dass Rennen immer erst auf der Ziellinie entschieden werden, und versuche, mich Meter für Meter darauf zu konzentrieren, meine körperlichen Grenzen zu finden und dabei fahrtechnisch keine Fehler zu machen. Ich überhole eine Fahrerin nach der anderen, doch die Hektik in dieser ersten Runde ist immens. Alle sind nervös, alle machen Fehler und so habe auch ich in dieser ersten Runde öfter den Fuß am Boden, als mir lieb ist.
Bei der ersten Zieldurchfahrt bin ich bereits Vierte. Auf der Anzeigetafel sehe ich, dass Nicole das Rennen anführt und bereits einen kleinen Vorsprung hat. Eine Millisekunde erlaube ich mir stolz zu sein, dann geht mein Fokus wieder zurück zu meiner Aufholjagd. Nur neun Sekunden vor mir sehe ich die Deutsche Sofia Wiedenroth und habe somit die Bronzene Medaille vor Augen. Doch nur Sechs Sekunden hinter mir passiert die Französin Justine Tonso die Ziellinie. Die Abstände sind eng. Das Rennen wird nun erst so richtig spannend.
Die Aufholjagd zum Treppchen
Sofia spürt mich in ihrem Nacken und beginnt Fehler zu machen. Bereits Mitte der zweiten Runde hole ich sie ein und bemühe mich, sie gleich abzuschütteln. Innerlich juble ich: Endlich auf Medaillenkurs! Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer, denn bereits wenige Minuten später werde ich von Justine Tonso in einem unerwarteten Moment überholt. Ich ärgere mich und versuchte am Hinterrad von Justine einen guten Moment abzuwarten, um ein entscheidendes Überholmanöver zu lancieren. Als ich Mitte dritte Runde zu ebendiesem ansetzen will, stürzt Justine vor mir. Eigentlich perfektes Timing, wenn ich mich nicht vor lauter Schock verschalten würde und sozusagen zum Stillstand komme. Justine erholt sich schneller als ich und ist auf und davon. Bis ich wieder bei Sinnen bin, ist auch Sofia wieder an meinem Hinterrad. So schnell geht’s! Ich bin vom Medaillenkampf wieder zurück in der Realität angekommen. Ich lasse mich jedoch nicht unterkriegen und bin endlich vollkommen im Tunnel. Links und rechts nehme ich alles nur noch in Zeitlupe wahr – ich bin vollkommen im Moment. Meter für Meter kämpfe ich mich zurück an die Französin. Doch als ich an ihrem Hinterrad bin, ist es überraschend nicht Justine Tonso, sondern Laura Charles, die bis dahin Zweitplatzierte, der zum Ende Rennen hin etwas die Kräfte auszugehen scheinen. Nachdem ich Laura überholt habe, sehe ich auch schon Justine vor mir. Auf die letzte Runde gehe ich als Drittplatzierte mit nur 8 Sekunden Rückstand auf die Zweitplatzierte.
Die letzte Runde – und der Wettergott
In dieser letzten Runde schenken sich Justine und ich absolut nichts und spielen Jo-Jo. Jedes Mal, wenn ich an ihr dran bin, schafft sie es noch etwas mehr Energie freizumachen und fährt wieder ein paar Sekunden weg – bei mir brennen Beine und Lunge. Und dann geschieht genau das, wo wir die ganze Woche schon befürchtet hatten: Es beginnt zu regnen, und die Strecke verwandelt sich in eine Schlittschuhbahn. Die Rennsituation ändert sich von einer Sekunde auf die andere dramatisch und wir wollen alle einfach nur noch heil ins Ziel kommen.
Ein hart erkämpftes Ergebnis
Auf den letzten Metern des Rennens sinkt es bei mir dann so richtig ein: WAAAHNSINN! – ich gewinne Bronze in Les Gets! Hier geht es zu den Ergebnissen der UCI E-Bike WM 2022. 18 Jahre nach meinem Weltmeistertitel bei den Juniorinnen gibt’s für mich in Les Gets nochmals Bronze. Ich juble wie wild, klatsche bei den zahlreichen Zuschauern am Streckenrand ab und als ich die Ziellinie quere, werde ich von Nicole förmlich vom E-Bike gerissen. Sie freut sich über meinen dritten Platz genauso, wie über ihren Sieg. Zusammen sind wir einfach besser als allein, das war in der Vorbereitung so und gilt auch beim Jubeln. Mountainbiken ist ein Einzelsport, aber zusammen freut es sich einfach schöner. Das merkt Nicole spätestens bei der Siegerehrung auch nochmals, als ich sie gnadenlos mit Champagnerdusche.
Wer sich für die Bikes interessiert, die in diesem Jahr bei der WM in Les Gets an den Start gingen, findet hier eine tolle Boxengasse mit 11 Profi-E-Bikes von der WM.
Zuerst müssen aber wir und auch unsere Fahrräder noch in die Dopingkontrolle – und das ist gut so! Als wir auch das erledigt haben, steht dem Feiern nichts mehr im Wege. Denn nicht nur Nicole und ich haben eine Medaille für die Schweiz gewonnen, unser Kumpel Joris hat im Männerrennen Bronze geholt. Drei Medaillen an der E-Cross-Country-Weltmeisterschaft für die Schweiz – dieser 26. August in Les Gets, der wird uns für immer in Erinnerung bleiben.
–> Hier gibt es weitere spektakuläre Fotos der UCI E-Bike WM 2022 in Les Gets / Frankreich.
War die diesjährige UCI E-Bike WM in Les Gets auch für euch so spannend, wie für uns?
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