Das dritte Jahr in Folge lockt mich die E-Bike World Tour zur E-Tour du Mont Blanc nach Verbier. Zweimal war ich mit Tracy Moseley am Start, dieses Mal wage ich das Abenteuer mit der Schweizerin Cornelia Hug. Cornelia und ich haben schon manche waghalsige Situation zusammen gemeistert, egal ob beim Roadtrip quer durch den Balkan oder einem Ski-Camping Urlaub bei tiefsten Minustemperaturen – wir sind als Team erprobt!
Bereits bei der Anreise treten bei meiner Teampartnerin jedoch gesundheitliche Probleme auf, sie hat nicht einzuordnende Bauchschmerzen. Natürlich mache ich mir etwas Sorgen. Aber ist das ein Grund nicht nach Verbier zu gehen? Natürlich nicht! Wir sind es gewohnt, dass es immer irgendwie geht und Kopf durch die Wand eine zuverlässige Strategie ist.
Die E-Tour du Mont Blanc ist das härteste E-MTB Etappenrennen der Welt. Über drei Tage gilt es, rund 300 Kilometer und 13’000 Höhenmeter zu bewältigen. Die Route führt rund um den Mont Blanc und dabei durch drei Länder. Innerhalb drei Jahren wurde das Rennen zur Ikone. Vier Batterien (gemäss Reglement maximal 2800 Wh) können in diesem Jahr pro Person und Tag eingesetzt werden. Eine Batterie jeweils am Bike, eine im Rucksack. Ein Mal pro Tag gibt es zudem eine Tech-Zone, in der die Zeit für 30 min neutralisiert wird und die Athleten Zugang haben zu ihrer persönlichen Box. Hier kann man Batterien tauschen, Bike reparieren, Kette ölen, oder (ganz wichtig!) etwas essen, sodass die Kräfte nicht ausgehen. Eine Etappe der E-Tour du Mont Blanc dauert im Schnitt zwischen 6 und 9 Stunden. Das Terrain ist hochalpin. Sowohl in den Aufstiegen als auch in den Abfahrten gilt es Singletrails zu bezwingen und zwischendurch heißt es auch E-Bike schieben oder tragen. Die E-Tour du Mont Blanc ist wahrlich kein Rennen für Zimperliche.
Wir starten gut in den ersten Tag und lassen uns vom Start weg nicht aus der Ruhe bringen. Bei einem Rennen dieser Länge und Härte muss man sich vollkommen auf sich selbst konzentrieren. In der ersten Abfahrt stürzt Cornelia und flucht vor sich hin, doch sich zu sehr über sich aufzuregen bringt nichts. Aufstehen, abhaken, Helm richten und weiter geht’s. Je länger wir unterwegs sind, desto stärker machen sich die Bauchschmerzen von Cornelia wieder bemerkbar. Irgendwie geht’s aber weiter und zwischendurch gehen sie auch wieder vergessen, weil das Panorama einfach zu atemberaubend schön ist und die Abfahrten richtig Spaß machen. Wir wachsen an diesem ersten Renntag nicht über uns hinaus, doch wir machen kaum Fehler. Beim Batteriewechsel unterwegs verlieren wir jeweils nur ein paar Sekunden und Defekte fahren wir keine ein. Kurz vor dem Ziel überholen wir das bis dahin führende französische Damen-Team Nadine Sapin und Lea Leslandes, die mit einem Defekt zu kämpfen haben. Den Tagessieg vor den Augen werden wir kurz nervös und verlieren die Konzentration. Tief durchatmen und auf das Wesentliche konzentrieren, heißt das Mantra. Wir schaffen es, den Tagessieg ins Trockene zu bringen und sind selbst etwas ungläubig, wie wir das hingekriegt haben.
Von der Ziellinie cruisen wir die asphaltiere Straße nach Courmayeur, wo wir die Nacht verbringen werden. Wir lachen und plaudern, froh, heil ins Ziel gekommen zu sein – bis mir in einer Linkskurve das Vorderrad wegrutscht und ich mit dem Gesicht voran in Richtung Straße fliege. Alles geht so schnell, dass ich nicht weiß, was mit mir geschieht. Genauso schnell wie ich auf der Straße lag, bin ich auch wieder auf den Beinen. Der Schock sitzt tief, ich schnappe mein E-Bike und fahre einfach weiter. Erst nach und nach lässt der Schock nach. Das Oberrohr meines E-Bikes ist rot gefärbt und ich realisiere, dass ich ziemlich stark blute. Auch Cornelia schaut verdutzt aus der Wäsche. Sie schaut mich an und auch sie weiß sofort, dass es sinnvoller ist, runter ins Dorf zu fahren, solange der Schock noch in den Gliedern steckt und daher der Schmerz noch nicht da ist.
Später werde ich von einem Doktor untersucht. Eine Hirnerschütterung scheine ich keine zu haben und ich entscheide mich, nicht ins Spital zu gehen zum Nähen, sondern selbst mit Steri-Stripes zu basteln.
Schlafen kann ich kaum, mein Körper ist steif und schmerzt vom Aufschlag. Auch Cornelia schläft nicht, sie ist schweißgebadet und ihre Schmerzen machen mir immer mehr Sorgen. Um 6 Uhr in der Früh halten wir Kriegsrat, um 7 Uhr ist dann der Start. Cornelia will trotz der Schmerzen an den Start gehen, also mache auch ich mich bereit. Nach rund einer Stunde Fahrzeit müssen wir aber Klartext miteinander reden: Die Route ist anspruchsvoll und auf der Rückseite des Mont Blanc total von der Zivilisation abgeschnitten. Es ist absolut unverantwortlich weiterzufahren, wenn wir nicht sicher sind, dass wir es packen. Trotz allem entscheiden wir uns für die Weiterfahrt, schrauben aber die Erwartungen komplett zurück. Anstatt um den Tagessieg zu kämpfen, geht es nun ums blanke Überleben. Und wie so oft in den Bergen, gibt uns das atemberaubende Panorama, die Stille und die Majestät der Berge Kraft und Frieden im Herzen.
Als wir die Tech-Zone erreichen, ist die Stimmung wieder gut. Die Jungs vom Bosch eBike Systems Race Support füttern uns mit Gummibären und helfen uns, die E-Bikes schnell wieder parat zu machen. So haben wir tatsächlich während der Neutralisation 5 min Zeit, um kurz hinzusitzen und ein Sandwich zu essen. Unser Rückstand auf die gegnerischen Teams und die Rangliste interessieren uns heute wenig. Wir sind stolz, als wir es ins Ziel schaffen. Stolz, dass wir uns durchgekämpft haben und ohne Stürze und Defekte durchgekommen sind.
Für den dritten Tag mache ich mir etwas weniger Sorgen. Das Ziel ist in Griffweite, zwei Drittel der Strecke haben wir ja schon geschafft. Ich habe meine Rechnung aber ohne die Schmerzen gemacht, die Cornelia wiederum den ganzen Tag begleiten. Zunächst sind wir gut unterwegs, doch nach rund 4 Stunden Rennzeit werden die Schmerzen stärker und unser Tempo entsprechend langsamer. Die Konzentration leidet bei beiden von uns. Obwohl ich nicht diejenige bin, die leidet und kämpft, lässt meine Konzentration extrem nach und in der letzten Abfahrt sehe ich einen Absatz zu spät, fliege ungebremst über den Lenker und lande auf dem Brustkasten. Die Rippen schmerzen und auch bei mir ist die Stimmung nun nahe dem Gefrierpunkt – nicht, weil ich keinen Spaß habe, sondern weil ich mich nach solch dummen und unnötigen Fehlern immer fürchterlich aufrege. Zum Glück fehlt keine Stunde mehr bis ins Ziel in Verbier. Wir kämpfen uns durch, bauen uns gegenseitig auf und lachen über die Situation. Wir sind uns einig, dass die E-Tour du Mont Blanc das intensivste Erlebnis war, dass wir je zusammen durchgestanden haben, und ich lache aus ganzem Herzen, als Cornelia sagt, dass die E-Tour du Mont Blanc für sie härter war als das Cape Epic.
Wahrscheinlich hätten wir es nach den zwei Tagen sein lassen sollen. Es gibt Momente, in denen Durchbeißen ein Zeichen von Härte ist, auf die man stolz sein kann. Und dann gibt es auch die Momente, in denen Durchbeißen nicht lohnenswert, sondern unverantwortlich ist. Der Grat dazwischen ist schmal und sich selbst einzugestehen, auf welcher Seite man sich befindet, ist alles andere als einfach. Unsere Körper sind keine Maschinen. So fest mich das manchmal ärgert, habe ich mir vorgenommen, in Zukunft etwas besser hinzuhören.
Cornelia ging von der Ziellinie direkt ins Krankenhaus. In der Zwischenzeit man auch herausgefunden, woher ihre Beschwerden stammten. Sie ist auf dem Weg zur Besserung und bis sie wieder auf dem Damm ist, planen wir schon unsere nächste gemeinsame Grenzerfahrung.
Weitere Informationen: www.verbierebikefestival.com
Zähne zusammenbeißen oder lieber aussteigen? Wie hättet ihr entschieden?
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