Ines Thoma, eine der besten Enduro-Pilotinnen und erfahrene Racerin, war 2023 am Start der E-Tour du Mont Blanc in Verbier. In ihrem Erfahrungsbericht erzählt sie uns von dem Rennen, das vielleicht das beste E-Bike-Rennen der Welt ist.
Die E-Tour du Mont Blanc gehört zu den härtesten E-Bike-Rennen Europas, ja vielleicht sogar der ganzen Welt. 2023 konnten Alia Marcellini & Anna Spielmann, Jérôme Gilloux & Kevin Marry siegen (E-Tour du Mont Blanc 2023 – Ergebnisse gibt’s hier). Auch Ines Thoma, die seit diesem Jahr auf einem Canyon Strive:ON, welches wir euch schon in unserer Artikelserie Pimp my E-Bike vorgestellt haben, unterwegs ist, ging an den Start. Hier lest ihr ihren Bericht zum Rennen. Viel Spaß damit!
E-Tour du Mont Blanc 2023 – die Vorbereitung
Das Rennfahr-Gen im Blut zu haben ist nicht immer einfach, denn egal wie hart und verrückt der Wettkampf war, nach einer guten Nacht Schlaf und 1-2 isotonischen Getränken reift gedanklich bereits wieder der Plan für das nächste Jahr. Man kann es einfach nicht lassen. Genauso war es auch bei mir. Nachdem ich 2022 mit meinem Cousin Vincenz im Mixed-Team mein E-Bike World Tour Debüt und genau genommen überhaupt mein E-Bike Renn-Debüt gefeiert hatte, wollte ich unbedingt zurückkehren, zu einem Rennen, das einige der besten Trails der Welt vor einer unglaublichen Kulisse zu etwas verbindet. Und das in der MTB Rennsport-Welt seinesgleichen sucht.
Ich wollte mehr E-Bike Erfahrung sammeln und mit einem konkurrenzfähigen Antrieb und einem möglichst starken Frauenteam zurückkehren, denn eine Mixed-Team-Kategorie gibt es nach wie vor leider nicht. Und so schien bis vor wenigen Wochen alles perfekt: ich hatte mit Tracy Mosley eine super nette und schnelle Partnerin gefunden, fühlte mich nach den ersten E-Enduro Weltcuprennen gut auf dem Rad und habe dank einer Partnerschaft mit Bosch in meinem Canyon Strive:ON mit dem Bosch CX Race den unbestritten besten Rennsport-Antrieb verbaut. Here we go!
Doch Moment. Ganz so einfach war es dann doch nicht. Tracy musste aufgrund der Heim-WM in Schottland wieder absagen. Und relativ kurzfristig eine neue Partnerin zu finden, stellte sich als schier unlösbare Aufgabe heraus. Denn einmal gibt es Rennfahrerinnen eh nicht wie Sand am Meer, dann wollte ich idealerweise eine ähnlich schnelle Partnerin finden, die dann auch noch einen Bosch Antrieb hat, die drei Batterien besitzt, zufällig Mitte August Zeit hat und sich natürlich überhaupt vorstellen kann, dieses Rennen mit mir zu bewältigen.
Und letzteres ist eigentlich die größte Krux, denn die E-Bike World Tour ist ohne Zweifel das härteste Rennen, das ich jemals bestritten habe. Mit 8300 Höhenmetern auf 143 Kilometern Länge sind die reinen Zahlen der zwei Renntage schon kein Zuckerschlecken, aber dazu kommen extrem technische Anstiege, Schiebe- und Tragepassagen mit einem 25 Kilogramm Rad und mit Trails wie dem legendären „Jackass“ in Verbier auch noch steile und verblockte Abfahrten. Wer also könnte mit mir gemeinsam die starke Konkurrenz im Frauenfeld angreifen?
Denn mit allen Podiums-Kandidatinnen der UCI E-Bike WM von vor 2 Wochen und den zweit- und drittplatzierten (mir) des Enduro Weltcups war für dieses Jahr bereits die volle Bandbreite der Weltspitze angemeldet und vergeben. Bei den Männern ganz genauso.
Um es kurz zu machen, ich habe einfach lange keine Partnerin gefunden und mich letzten Endes für eine Enduro-Kollegin entschieden, die zwar keinerlei E-Bike Erfahrung hatte, aber dafür voll motiviert war und wir uns in den Downhill Passagen ein ähnliches versprachen und auf alle Fälle eine gute Zeit zusammen. Das ist ja schließlich auch nicht unwichtig. Vielen Dank also an Louise Paulin, eine super, super Teamkollegin, die so spontan und mutig war, das Abenteuer mit mir zu wagen.
Das Festival in Verbier
Die E-Bike World Tour in Verbier ist Teil eines E-Bike Festivals. Eine sehr gute Ausrede also, gleich einige Tage früher anzureisen und zumindest eine ganze Woche in der Wunderwelt Wallis zu verbringen. Unter anderem ist unser guter Freund und Verbier-Local Ludo May für die Strecken des Festivals zuständig und im Gegensatz zu Riva oder Willingen gibt es hier unzählige komplett ausgeschilderte Testtouren in allen Schwierigkeitsgraden. Eine Bandbreite, die ich so noch nie gesehen habe. Absolut zu empfehlen!
Daneben natürlich die vollen E-Bike Flotten der verschiedenen Marken und geführte Touren und Fahrtechnikkurse, wie auch ich sie in diesem Jahr für Bosch eBike Systems und das Canyon CLLCTV angeboten habe. Alles tipptopp und kostenlos. Und für alle Camping-Fans, wie uns, noch ein kleiner Tipp am Rande: Wir haben, wie auch im letzten Jahr, auf dem Parkplatz P4 unten im Tal in Le Chable, statt oben in Verbier übernachtet. Der ist für 10 Tage kostenlos und mit nur wenigen Franken Kurtaxe bekommt man das “Verbier+”-Ticket für die kostenlose Benutzung aller Gondeln, des Freibads, der Minigolfanlage und vielem mehr. Und wer auch mit Kids unterwegs ist, wird sich freuen, denn der Parkplatz liegt direkt neben einem Spielplatz und Pumptrack.
Das Rennen
Wer sich überlegt, das Rennen einmal selbst zu wagen, und das würde ich einfach jedem empfehlen, sollte genug Zeit in die Vorbereitung stecken. Uphill-Training auf technischen und steilen Trails sind ein Muss, genauso ausreichend Downhill-Tage, damit die Unterarme bei den 1000–2200 Tiefenmetern (pro Stage!!) mitspielen. Neben dem Training sollte man sich eine Handvoll Equipment besorgen oder idealerweise leihen, denn pro Renntag darf jedes Team zwei Euroboxen mit Ersatzteilen, Batterien und Verpflegung packen, die dann von der Organisation an die jeweiligen Verpflegungszonen transportiert werden. Wir haben also unsere Kisten mit bestem Wissen und Gewissen gepackt und sämtliche Räder wurden auf maximale Geschwindigkeit und maximale Akkukapazität gecheckt.
Aufgrund von Festival-Verpflichtungen stehen wir nun voller Vorfreude und mit noch etwas Müdigkeit in den Knochen um 7.30 Uhr am Morgen des ersten Renntags an der Startlinie, und das leider ohne eine einzige Minute gemeinsamer Zeit auf den Trails, um uns als Team einzufahren. Das machen wir eben jetzt. 22 Männer- und 7 Frauenteams haben sich für die erste Stage zum Massenstart versammelt, ein zusätzlicher Stressfaktor, an den man sich erst einmal gewöhnen muss. Als ehemalige Cross-Country Pilotin und Megavalanche-Liebhaberin finde ich Massenstart irgendwie auch ganz witzig, aber für Louise ist es der erste und sie ist sichtlich angespannt.
5-4-3-2-1 und dann schießt die Weltelite mit einer so unglaublichen Geschwindigkeit los, dass man nicht glauben würde, dass es jetzt 800 Höhenmeter am Stück hochgeht. Auf der noch flachen Straße im Ortskern von Verbier wird erst mal mit gut 27 km/h und, ihr ahnt es schon, keiner Motorunterstützung gesprintet, bevor es dem Himmel sei Dank steil bergauf geht und der Motor mitschiebt. Und so starten wir gemeinsam in das, laut dem Veranstalter, beste E-Bike Rennen der Welt, ein Slogan, der erst mal hoch gegriffen klingt, aber tatsächlich sind sich hier die Meisten einig: Dieses Rennen ist das beste Rennen des Jahres, denn während viele andere Formate das E-Bike nutzen, um Kraft zu sparen gegenüber einem normalen Rad, so kann man dieses Rennen nur mit dem E-Bike und der allerbesten Technik auf diesem bestreiten und trotz Motorunterstützung ist es für die schnellsten und fittesten Athlet*innen dieser Welt ein absoluter Kraftakt.
Louise und ich pendeln uns wie erwartet ziemlich schnell im Mittelfeld ein und spielen unsere Stärken in den Bergab-Passagen aus. Ich fahre vorneweg, navigiere (jedes Team muss ein Navigationsgerät mit der GPX-Route dabei haben), schaue nach Linien, der richtigen Gangwahl und laufe das ein oder andere Mal zurück, um ihr beim Schieben des schweren E-Bikes zu helfen. Sie ruft von hinten, wenn ich mal wieder falsch abgebogen bin und motiviert mit lauten Jubelrufen, wenn mir eine gute Linie gelungen ist. Wir sind ein echt gutes Team und die Stimmung ist top. Wie zu erwarten, verlieren wir in den Anstiegen und vor allem in den technischen Uphill-Trails und holen in den technischen Abfahrten wieder Zeit auf.
Wer hier gewinnen will, muss topfit sein, einen guten Antrieb haben, möglichst leicht sein und trotzdem in den Abfahrten draufhalten können. Nach über 6,5 Stunden Rennzeit kristallisiert sich heraus, dass alle Podiumskandidat*innen auch wirklich E-Bike Profis sind, das ist bei den Enduro und Cross-Country Weltcup Formaten im E-Bike nicht immer so und zeigt, warum wir alle diesem Rennen so lieben, es ist ein echter Härtetest.
Die Highlights
Die zweite und dritte Stage des zweiten Renntags waren unsere absoluten Favoriten. Erstere, weil diese mit nur 250 Höhenmetern (diese musste man allerdings über Felsen und extrem steiles alpines Gelände schieben und tragen) und über 1000 Tiefenmetern auf dem technischsten Trail des Rennens „Jackass“ uns absolut in die Karten gespielt hat. Ein Höhen-Tiefenmeter-Verhältnis nach unserem Geschmack. Der Trail ist oben flowig über offene Wiesen, vorbei an gigantischen Steilwänden, an denen man den Blick lieber auf dem Trail lassen sollte, und führt mit Eintreten in den Wald in einen kniffligen Spitzkehren-Krimi.
Diesen versuchen wir mit lauten gegenseitigen Anfeuerungsrufen zu lösen. Hat anscheinend funktioniert, denn dies ist auch die Stage des Rennens, die wir sogar gewinnen konnten. Gefolgt von nur wenigen Minuten Pause und der Königsetappe des Rennens: Ein 1300 Höhenmeter Anstieg zum legendären Sattel des Col de Mille mit einer sagenhaften und nie endenden Abfahrt zurück ins Tal. Der Trail startet auf dem Grat, vor einer gigantischen Mont Blanc Gletscher Kulisse und biegt dann scharf links ab zurück in Richtung Verbier. Oben noch hochalpin über Felsen und einem schmalen Pfad, wird der Trail im Mittelteil etwas flacher, die Kurven sind hier so gut eingefahren, dass natürliche Anlieger entstanden sind. Nach einer Stunde und 14 Minuten Rennzeit für diese unglaubliche Stage war uns das Grinsen ins Gesicht gemeißelt und denke ich nun an die Abfahrt zurück, so will ich nur eines: So bald wie möglich dorthin zurückkehren.
Die härtesten Momente
Der Massenstart am zweiten Renntag erfolgte nach drei Gondelfahrten am Morgen auf knapp über 2500 M.ü.NN. Der darauffolgende Anstieg ist zwar kurz, aber schlängelt sich auf extrem steilen, breiten Schotterstraßen hinauf, um das Fahrerfeld vor dem darauffolgenden Spitzkehren-Trail etwas auseinanderzuziehen. Wie bereits erwähnt, hatte Louise etwas mit dem Anfangstempo zu kämpfen, unter anderen auch, da sie einen schwächeren Antrieb als die anderen Topteams hat, ein leider sehr ausschlaggebender Punkt beim E-Bike Racing.
So standen wir in der folgenden Abfahrt in einem Stau, der an den Füssener Grenztunnel zum Sommerferienbeginn erinnert. Da fällt es schwer cool zu bleiben, wenn man nicht mal in der Abfahrt sein Tempo fahren kann. Ansonsten war der sicher härteste Moment für die meisten Rennfahrer*innen in diesem Jahr die allerletzte Stage. Denn bei über 32 Grad Celsius ging es mitten in der Nachmittags-Hitze vom Talboden steile 1300 Höhenmeter hinauf ins Bikepark-Gelände über Verbier. In der prallen Sonne über extrem steile Anstiege.
Dies führte zu einer Überhitzung der meisten Antriebe, vor allem da die Boxen mit den Batterien zuvor in der Sonne gestanden hatten, eine extrem schlechte Kombination. Ich hatte auf alle Fälle Glück, denn mein Bike funktionierte fast tadellos, vielleicht auch weil ich mein komplettes Wasser in die Kühlung des Bikes anstatt meines Körpers gesteckt hatte. So hatte ich ein Rad, mit dem man noch einigermaßen die steilen Anstiege hinauf kam und bin dann eben mit höllischem Durst an etlichen Teams vorbeigeradelt, die versuchten ihre Bikes im Brunnen zu kühlen, krampfende Waden gedehnt oder Teamkolleg*innen mit Überhitzung, mit Schläuchen abzuschleppen versucht haben. Ein wildes Schauspiel.
Die Routen 2023
Natürlich habe ich die Routen auf komoot gespeichert. Anmerkung der Redaktion: Für alle Neulinge im Hinblick auf komoot – hier haben wir das kleine 1×1 der komoot Navigation.
Weitere Informationen: www.verbierebikefestival.com
Ein Ausblick auf 2024
Kurz nach dem Rennen bin ich auf alle Fälle immer noch erschöpft wie selten. Vor allem die letzten Höhenmeter in der Sonne haben sämtliche Stecker gezogen. Trotzdem war die Tour mal wieder ein unbeschreibliches Erlebnis an intensivem und wunderschönem Radfahren. An stundenlangem Flow-Gefühl, wie es fast nur das Racen auf sehr langen Stages hervorbringen kann. Dieser Tunnelblick, der einen alles andere vergessen lässt. Gerne würde ich wiederkommen. Am liebsten mit einer Teamkollegin, die ähnliche Stärken und Schwächen und somit ein ähnliches Tempo hat, um einmal zu versuchen, dieses verrückte Rennen oben auf dem Podium zu beenden. Aber die Konkurrenz ist extrem stark, obwohl ich mich dieses Mal wirklich auch gut gefühlt habe. Mal sehen, ob das noch klappt.
Fotostory – E-Tour du Mont Blanc 2023
Wie sieht es mit euch aus? Auch mal Lust, an diesem harten Rennen mit dem E-Bike teilzunehmen?
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