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Federungssysteme am E-Mountainbike
Die 7 wichtigsten Hinterbau-Kinematiken erklärt

Ein wichtiges Argument beim Kauf eines E-Mountainbikes ist das Federungssystem. In den vergangenen 40 Jahren Entwicklung vollgefederter Mountainbikes wurden unzählige Möglichkeiten erfunden, das Hinterrad zu lagern und den Dämpfer anzusteuern, die häufig aufs E-Bike übertragen wurden . In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die populärsten Systeme und erklären die Funktionsweise.

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Das Federungssystem ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal bei vollgefederten E-Mountainbikes. In der Vergangenheit wurden neue Systeme häufig patentiert und exklusiv von bestimmten Herstellern verwendet. Mittlerweile sind viele Patente ausgelaufen, was dafür gesorgt hat, dass sich einige wenige Systeme, gerade am E-Bike, ziemlich flächendeckend durchsetzen konnten. Auf welches Federungssystem die Wahl nachher fällt, wird nicht nur von den gewünschten Fahreigenschaften bestimmt – diese lassen sich häufig auf mehrere Arten und Weisen erfüllen – sondern auch durch Anforderungen an das Design, die Steifigkeit, Materialwahl, die Toleranzen und so weiter. Natürlich spielt auch der Wiedererkennungswert eine große Rolle – manche Systeme sind einfach fest mit einer bestimmten Marke verbunden.

Hier bekommt ihr einen Überblick über die verbreitetsten Federungssysteme – außerdem erläutern wir einige zentrale Eigenschaften und erklären, wie man die Systeme auseinanderhalten kann. Als Vorbereitung ist es keine schlechte Idee, unseren Artikel „Anti-Rise & Anti-Squat Erklärung“ gelesen zu haben.

Diashow: Federungssysteme am E-Mountainbike: Die 7 wichtigsten Hinterbau-Kinematiken erklärt
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Eingelenker

Die technisch einfachste Variante, das Hinterrad im Hauptrahmen zu lagern und eine Federung einzubauen, ist der sogenannte Eingelenker-Hinterbau. Wie der Name bereits impliziert gibt es ein Gelenk, um das sich der Hinterbau, der das Hinterrad trägt, dreht. Obwohl das System auf den ersten Blick sehr simpel wirkt, lässt es sich in vielen Aspekten justieren und bietet einige Vorteile. Die Raderhebungskurve – die Bahn, welche die Hinterrad-Achse beim Einfedern beschreibt – ist immer ein Kreisbogen. Allerdings hängt von der Höhe des Drehpunkts und der Länge der Schwinge ab, in welche Richtung sich das Hinterrad zunächst bewegt. Liegt der Drehpunkt etwa deutlich über der Hinterrad-Achse, wandert das Rad beim Einfedern nach hinten. Dadurch soll die Federung sehr sensibel auf Stöße in diese Richtung reagieren – etwa wenn man gegen eine Unebenheit fährt. Bei einem Eingelenker sind Bremse, Antrieb und Hinterrad allerdings immer auf demselben Körper montiert, weshalb sich Antriebs- und Bremseinflüsse nicht getrennt justieren lassen. Eine Ausnahme ist die Bremsmoment-Abstützung.

Fast alle modernen Eingelenker-Bikes sind sogenannte abgestützte Eingelenker. Das bedeutet, dass der Dämpfer nicht direkt vom Hinterbau angesteuert wird, sondern irgendeine Form von Anlenkung dazwischen ist. Für Werte wie den Anti-Rise, Anti-Squat oder die Raderhebungskurve ist das völlig gleichgültig. Stattdessen beeinflusst die Anlenkung das Übersetzungsverhältnis, beziehungsweise die Progression. Man kann damit auch schädliche Quer-Kräfte auf den Dämpfer reduzieren oder ganz einfach die Lage des Dämpfers im Hauptrahmen bestimmen – beispielsweise um den Schwerpunkt zu senken. Eingelenker sind im XC-Bereich weitverbreitet, da sie aufgrund weniger Drehpunkte sehr leicht und simpel aufgebaut werden können – häufig wird ein Drehpunkt durch flexende Druckstreben ersetzt – aber auch Trail-, Enduro und Downhill-Bikes setzen auf das System.

Kurz & Knapp

# Beim Eingelenker dreht sich der Hinterbau um ein festes Lager am Hauptrahmen - gibt es zusätzlich eine Anlenkung für den Dämpfer (wie hier), spricht man vom abgestützten Eingelenker. Hier flext beim Einfedern die Sattelstrebe übrigens mit.

Prominente Beispiele

Viergelenker

Der Viergelenker-Hinterbau ist das wohl verbreitetste Federungssystem unter Mountainbikes und E-Bikes. Hierbei wird der das Hinterrad tragende Körper – meist die Sitzstrebe – über zwei Hebel mit dem Hauptrahmen verbunden. Ingenieure kennen das System als Doppelschwinge. Von einem Viergelenker, oder auch Horstlink-System, spricht man, wenn der untere Hebel sehr lang ist und das hintere Lager nur knapp vor der Hinterrad-Achse liegt. Systeme mit einem sehr kurzen unteren Hebel werden unter dem Namen „Dual-Link“ im Abschnitt unten erläutert. Das Hinterrad wird nun nicht mehr direkt am Hauptrahmen gelagert, sondern dreht sich um einen „virtuellen“ Drehpunkt im Raum, auch bekannt als Momentanpol.

Den Momentanpol kann man bestimmen, indem man die beiden jeweiligen Lagerpunkte der zwei Hebel verbindet und die Linien verlängert, bis sie sich kreuzen – hier liegt der virtuelle Drehpunkt. Da sich die Hebel beim Einfedern drehen, bewegt sich natürlich auch der Momentanpol ständig im Raum. Da der untere Hebel beim Viergelenker sehr lang ist (fast die ganze Länge der Kettenstrebe) und sich nur um einen geringen Winkel dreht, bewegt er sich deutlich weniger als an Systemen mit einem sehr kurzen unteren Hebel.

Das Viergelenker-System gilt als vergleichsweise einfach zu beherrschen und gut anpassbar. Dadurch, dass der Drehpunkt nicht an einem Ort fixiert ist, verändern sich auch verschiedene Parameter beim Einfedern, die von dessen Lage abhängen. Das kann erwünscht sein oder nicht, ist aber häufig, was Hersteller meinen, wenn sie behaupten, Brems- und Antriebseinflüsse getrennt voneinander optimiert zu haben. Das ist zwar nicht ganz korrekt, aber es sind definitiv andere Konstellationen möglich als mit einem Eingelenker. Trotzdem kann man nicht einen Parameter ändern, ohne dass auch an einem anderen etwas passiert.

Kurz & Knapp

# Viergelenker sind extrem verbreitet, da sie vergleichsweise einfach zu entwickeln und vielfältig einsetzbar sind - der Drehpunkt liegt hier am Kreuzungspunkt der beiden Linien, er ist also virtuell irgendwo im Raum und ändert sich beim Einfedern.

https://www.mtb-news.de/news/wp-content/uploads/2023/07/f2ad7abe113bf083eead7cd38512c0a4ad2a96dc.mp4

Prominente Beispiele

Prinzipiell funktioniert ein Dual Link-System exakt wie ein Viergelenker. Allerdings fällt der untere Umlenkhebel deutlich kürzer aus. Zudem gibt es System, bei denen analog zum Viergelenker beide Links sich in dieselbe Richtung (etwa DW-Link oder Maestro) oder aber entgegengesetzte Richtung drehen (etwa VPP). Das hat einen Einfluss auf die Bewegung des Momentanpols, der sich durch die kurzen Hebel generell deutlich schneller bewegt als beim Viergelenker. Um diese rasche Bewegung geht es auch: Die Lage des Momentanpols wird genutzt, um verschiedene Parameter zu bestimmen. So kann man beispielsweise den Anti-Squat im Sag-Bereich für gute Pedaliereigenschaften auslegen, danach aber stark abfallen lassen, um den Kettenzug zu reduzieren. Außerdem lassen sich recht unterschiedliche Raderhebungskurven realisieren.

Nachteilig könnte sein, dass sich das Endergebnis nicht sehr intuitiv anfühlt, was natürlich eine äußerst subjektive, aber deshalb nicht weniger relevante Einschätzung ist. Obendrein kann man, wo viel passiert, auch viel falsch machen. Wer sich zu sehr auf einen Parameter fokussiert, verpasst vielleicht, dass ein anderer relevanter Parameter ebenso stark variiert und unerwünschte Einflüsse auf das Fahrverhalten hat.

Kurz & Knapp

# Dual-Link Hinterbauten haben ebenfalls einen virtuellen Drehpunkt, dieser ändert seine Lage durch die viel kürzeren Hebel jedoch schneller. - Die Lage des Drehpunkts ist relevant, um Einflussgrößen auf die Federung zu bestimmen.



Prominente Beispiele

Sechsgelenker

An sich kein neues, in den letzten Jahren aber zunehmend populäres Design ist der Sechsgelenker-Hinterbau. Dieser ist in verschiedenen Varianten verbreitet, die meist auf eine Mischung aus Viergelenker und Dual-Link setzen. Eine sinnvolle Definition eines Sechsgelenkers ist, dass alle sechs Gelenke Einfluss auf die Raderhebungskurve haben müssen. Teilweise werden Viergelenker mit zwei zusätzlichen Links, um den Dämpfer anzusteuern, als Sechsgelenker bezeichnet. Diese beeinflussen jedoch nur das Übersetzungsverhältnis – ähnlich wie die Links bei einem abgestützten Eingelenker.

Sechsgelenker zeichnen sich dadurch aus, dass man durch eine größere Anzahl an Gelenken auch mehr Einfluss auf die finalen Parameter haben kann. Dies kann ein Vorteil sein, wenn man etwa besondere Design-Vorgaben einhalten möchte, die bei anderen Systemen zu zu großen Kompromissen hinsichtlich der Performance führen. Oder umgekehrt, auf eine Performance aus ist, die zu Problemen mit dem Bauraum führt – etwa einem Lagerpunkt, wo das Sitzrohr sein soll. Als nachteilig gilt, dass bereits relativ kleine Änderungen eines Lagerpunkts großen Einfluss auf die Charakteristik haben. Deshalb sollte ein Hersteller die Fertigungstoleranzen absolut im Griff haben.

Kurz & Knapp

# Zu kompliziert für ein einfaches Bild wird es beim Sechsgelenker - die graphische Bestimmung ist eigentlich nicht anders als beim Viergelenker, es benötigt jedoch einige Zwischenschritte. Man bestimmt erst zwei Relativpole (also Drehpunkte zwischen zwei Gliedern), dann kann man den virtuellen Drehpunkt bestimmen.

Prominente Beispiele

Linearführung

Ein Sonderfall, der mittlerweile kaum noch verbreitet ist, ist ein Federungssystem mit einer Linearführung. Aktuell gibt es kein bekanntes E-Bike damit. Prinzipiell kann man Linearführungen auf verschiedene Arten und Weisen in ein Fahrrad integrieren, sodass man kaum von einem System reden kann. Wichtig zu verstehen ist bloß, dass eine Linearführung einem Drehgelenk entspricht, das im Unendlichen liegt. Klingt komisch, ist aber so. Möchte man mit einem unendlich weit aufgespannten Zirkel einen Kreisbogen zeichnen, kommt eine Gerade bei heraus. Wirklich wichtig wird die Bestimmung des Drehpunkts lediglich, wenn die Linearführung Einfluss auf die Raderhebungskurve hat, etwa bei Yetis Switch Infinity (siehe Bild) oder dem mittlerweile ausgestorbenen NAILD-System.

Warum man auf eine Linearführung setzt, kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht erreicht man nur so die Kennwerte, die man unbedingt haben möchte. Manche Hersteller geben auch an, durch die Führung Gewicht zu sparen oder besondere Steifigkeitsparameter zu erreichen. Da Führungen an Mountainbikes sehr selten sind, erreicht man so natürlich auch ein gewisses Alleinstellungsmerkmal. Dafür sind entsprechende Führungen im Gegensatz zu hochwertigen Kugellagern keine günstige Massenware, was den Fertigungs- und Konstruktionsaufwand erhöhen kann. Am E-Bike könnte zudem problematisch sein, dass sowohl Motor als auch Führung zu viel Platz im Tretlagerbereich einnehmen und so schwer miteinander vereinbar sind.

Kurz & Knapp

# Yeti ist ein prominenter Hersteller, der bei mehreren Modellen auf eine Lineaführung setzt - das System entspricht einem Viergelenker mit unendlich langem unteren Hebel. Beim Einfedern ändert die Gerade mit dem ∞-Symbol ihren Winkel relativ zum Rahmen nicht, der Momentanpol befindet sich also immer irgendwo auf dieser Geraden.

https://www.mtb-news.de/news/wp-content/uploads/2029/02/Endurotest-2023-Yeti-Hinterbau-einfedern.mp4

Prominente Beispiele (keine E-Bikes)

High-Pivot

An sich ist „High Pivot“ überhaupt kein Federungssystem. Es wird als Begriff jedoch in den letzten Jahren sehr häufig verwendet und verdient daher eine Erklärung. Gemeint ist damit, dass der Drehpunkt eines Hinterbaus – egal ob Eingelenker oder Mehrgelenker – so hoch liegt, dass eine Umlenkung der Kette notwendig wird. Die Kettenlinie ist eine wichtige Größe für die Bestimmung der Antriebseinflüsse (Details dazu in der Anti-Squat-Erklärung) und sollte ganz grob gesagt nicht allzu weit vom Drehpunkt entfernt vorbei laufen. Ohne Kettenumlenkung würden High-Pivot-Bikes unter sehr starkem Pedalrückschlag und extremem Wippen beim Pedalieren leiden. Ein hoher Drehpunkt soll den Vorteil haben, dass das Hinterrad beim Auftreffen auf ein Hindernis zunächst nach hinten wandert. Das ist auch die Richtung, in welche die durch den Kontakt erzeugte Kraft wirkt, wodurch diese besser durch das Fahrwerk aufgenommen werden soll. Als Nachteil kann man empfinden, dass sich die Kettenstrebenlänge dabei stärker als gewöhnlich ändert und zu einem nicht ganz intuitiven Fahrverhalten führt.

Vor einigen Jahren waren Eingelenker-Systeme sehr prominent. In letzter Zeit kommen immer mehr Hersteller mit Viergelenkern oder sogar Sechsgelenkern und hohem Drehpunkt auf den Markt. Grund ist, dass Eingelenker mit hohem Drehpunkt extremes Bremsstempeln hervorrufen können (warum das so ist, erfahrt ihr hier: Anti-Rise erklärt). Unter Einwirkung der Bremskraft komprimiert sich der Dämpfer und zieht das Hinterrad in die Luft. Daraufhin reißt die Bremskraft ab, es fällt wieder auf den Boden, wird erneut angehoben und so weiter. Ein Mehrgelenker kann eine Möglichkeit sein, dieses Phänomen zu mildern, indem der Anti-Rise gesenkt wird. Am E-Bike sind High-Pivot-Hinterbauten so gut wie nicht verbreitet. Ein Grund könnte sein, dass relativ viel Kraft durch die kleine Umlenkrolle geleitet werden muss. Rocky Mountain setzt durch sein Motorsystem auf einen vergleichsweise hohen Drehpunkt und mehrere Umlenkrollen.

Kurz & Knapp

# Als „High-Pivot“ bezeichnet man Hinterbauten, deren Drehpunkt so hoch liegt, dass man die Kette umlenken muss - der Vorteil soll eine nach hinten gerichtete Raderhebungskurve sein, wodurch das Hinterrad Schläge besser aufnehmen können soll.

Prominente Beispiele

Bremsmomentabstützung

Bei einer Bremsmomentabstützung handelt es sich ebenfalls um kein eigenes Federungssystem im engeren Sinne. Als Ausnahmen könnten das ABP-System von Trek und Dave Weagles Split-Pivot gelten. In der Regel wird die Bremsmomentabstützung jedoch als zusätzliches Bauteil konstruiert. Sie soll helfen, Brems- und Antriebseinwirkungen getrennt voneinander zu beeinflussen, was vor allem am Eingelenker-System eine große Rolle spielt. Um zu verstehen, warum, sollte man zwingend den bereits mehrfach verlinkten Artikel über Anti-Rise und Anti-Squat gelesen haben. Grob gesagt geht es darum, dass der Drehpunkt eine zentrale Rolle zur Bestimmung beider Einflussgrößen spielt. Die Bremsmomentabstützung positioniert die Bremse auf einen anderen Körper als das Hinterrad, wodurch sie über einen anderen (virtuellen) Drehpunkt verfügt.

In den frühen 2000er-Jahren gab es mehrere Räder mit einer Bremsmomentabstützung – vielen bekannt dürfte noch das Kona Stinky mit DOPE-System sein. Aktuell ist das System fast ausgestorben, lediglich Actofive bietet es seit einiger Zeit am P-Train an. Cube und Saracen haben jedoch damit im Downhill World Cup experimentiert. Anders sieht die Sache aus, wenn man ABP und Split-Pivot als Bremsmomentabstützung zählen lässt. Beide Federungssysteme haben einen Drehpunkt in der Hinterrad-Nabe und die Bremse auf der Sattelstrebe montiert. Dadurch dreht sich die Hinterrad-Achse mit der Kettenstrebe, die Bremse ist jedoch wie bei einem Viergelenker gelagert und hat einen virtuell im Raum liegenden Momentanpol. Clever, oder?

Kurz & Knapp

# Die klassische Bremsmomentabstützung als zusätzliches Bauteil sieht man kaum noch - gibt es allerdings einen Drehpunkt in der Hinterrad-Nabe, so kann die Sitzstrebe als ein solches Bauteil wirken.

Prominente Beispiele

Welche Vor- und Nachteile kannst du noch benennen und was hat dich am meisten überzeugt?


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