Für Erstaunen unter den Anwesenden sorgte die Ankündigung des Haibike Flyon auf der Eurobike 2018. Eine derartig smarte und zu Ende gedachte System-Integration kannte man bis dato nicht von den Schweinfurtern. Das war für uns Grund genug, die Entwicklung dieses visionären Konzeptes und den Weg vom Prototyp zum Serienrad einmal genauer anzuschauen. In unserem zweiten Teil haben wir alle Infos zur Entwicklung von Motor, Akku, Remote-Einheit und Skybeamer.
Wer sich für die fahrbaren Prototypen interessiert, der findet in unserem Teil 1 alle Informationen dazu.
„Wir brauchen
mehr Bums!“
Motor – die Kultivierung eines Kraftpakets
Für Haibike stand von Anfang an fest, dass der Motor ausdrücklich Präsentations-Charakter haben muss. Dieses Bauteil ist Herzstück des Designs und muss sowohl gut integriert als auch klar sichtbar sein – ein Ausdruck von Stärke und Kraft quasi. Auf der Suche nach einem kompakten Motor mit dem Mehr an Leistung fiel die Wahl auf das Aggregat von TQ Systems. Mit einem enormen Drehmoment von bis zu 120 Nm schien dieser Motor die Performance-Ansprüche der Schweinfurter perfekt zu erfüllen. In Kooperation mit TQ Systems wurde ein neuer Haibike-TQ-Motor entwickelt. Nur das Innenleben des Motors wurde vorgegeben, das sichtbare Äußere konnte das Haibike Design Center München frei gestalten.
Das mit 38 Zähnen recht große Kettenblatt findet seine Inspiration im Autorennsport. Sein kraftvolles und zeitloses Speichen-Design soll an breite Tiefbettfelgen diverser PS-Monster der DTM oder von Le Mans erinnern. Neben dem Design bietet das Kettenblatt aber auch einen technischen Vorteil: der Verschleiß an Kette und Antrieb kann dadurch reduziert werden. Mit einem größeren Kettenblatt läuft die Kette an der Kassette auch häufiger über die größeren Ritzel. Dadurch verteilt sich der Krafteintrag auf mehr Material. Zudem verbessert sich die Leistungsentfaltung durch einen vergrößerten Umschlingungsgrad. Das massive Directmount-Kettenblatt wird aus 7000er Aluminium gefräst und soll eine hohe Lebensdauer besitzen.
Das Verhalten des Motors wurde in unzähligen Testfahrten bestimmt und immer wieder an die Software-Entwickler von TQ Systems weitergegeben. Bis die endgültige Software-Abstimmung gefunden wurde, verging über ein Jahr. Haibike konnte in dieser Zeit mit einer großen Anzahl an verschiedenen Stellschrauben spielen.
18 Signale heben das Level auf ein neues Niveau
Für das Flyon hat Haibike auch die Sensorik überdacht. Hier stand unter anderem der Geschwindigkeits-Sensor im Fokus. Die neu entwickelte „Sensordisk“ bricht mit dem herkömmlichen System „Magnet an Speiche“. Während bisher lediglich ein Impuls pro Radumdrehung ans System übertragen wurden, liefert das Flyon pro Umdrehung immerhin 18 Impulse. Damit kann die Motorunterstützung sowohl schnell reagieren als auch sehr feinfühlig arbeiten. Das Gesamtsystem wird damit außerdem sehr tuningfeindlich, denn mechanisch ist die Sensordisk durch die Kodierung nicht leicht zu überlisten.
Akku – maximale Kapazität auf kleinstem Raum
Im Lastenheft stand, dass der Akku in einer kurzen und kompakten Bauform gestaltet werden soll. 56 Zellen waren die Mindestanforderung, um dem Motor genügend Strom zur Verfügung zu stellen. Die Anforderungen an die Bauform sollte es Haibike ermöglichen, später einen Akku mit höherer Kapazität zu verbauen. Durch die kompakte Bauweise kann der Akku zudem dichter am Motor platziert werden, um einen möglichst tiefen Schwerpunkt zu erreichen.
Der Akku im Flyon hat aktuell die größte Energiedichte am E-Bike-Markt. Im Klartext heißt dies, dass hier die meisten Wattstunden mit dem kompaktesten Volumen gepaart sind. Und laut Haibike ist sogar noch Luft nach oben: mit etwas mehr Bauraum soll auch ein Akku mit 800 oder 900 Wh möglich sein.
Doch nicht nur die Bauform stellte eine Herausforderung dar. Auch die Abgabe des notwendigen Stroms stellte Haibike, TQ Systems und BMZ vor eine Herausforderung. Nach internen Tests schafften nur Zellen von Sony die Anforderungen zu erfüllen. Die genutzten Zellen sind üblicherweise in Powertools (z. B. Akkuschrauber oder Akkubohrer) verbaut und können in kurzer Zeit extrem hohe Stromstärken zuverlässig liefern. Auf der anderen Seite lässt sich ein solcher Akku in ungefähr einer Stunde auf 80 % seiner Kapazität aufzuladen.
Remote-Einheit – der endlose Kampf mit Gummi, Klicks und Ergonomie
Eine Remote-Einheit mit drei Tasten zu gestalten ist recht einfach. Eine multifunktionale, intuitiv bedienbare Modi-Kontrolle zu entwickeln, stellte sich beinahe als die größte Herausforderung des gesamten Konzeptes heraus. Gemeinsam mit TQ Systems suchte man über einen langen Zeitraum nach ergonomischen Hebelformen und passenden Positionen, haptisch angenehmen und gleichzeitig haltbaren Gummioberflächen und Tastern mit dem richtigen Klick. Inspiration fand man bei Bedieneinheiten von BMW oder Audi und verbaute als erster Bike-Hersteller an der smarten Remote-Einheit einen Drück-/Drehknopf, der eine intuitive Bedienung erlauben soll.
Das Lastenheft forderte, dass die komplette Bedienung mit dem Daumen möglich sein – und zwar so, dass man trotzdem den Lenker permanent fest im Griff hat. Das Design der Remote-Einheit trägt dieser Anforderung Rechnung und soll die Eigenschaften Intuitivität und Ergonomie perfekt in einem kompakten Bauteil vereinen.
Zudem verfügt die Remote-Einheit über einen Lichtbalken, der nach Vorbild der Formel 1 die genutzte Unterstützungsstufe mit farblich unterschiedlichen LEDs erkennbar macht.
Display mit Gold-Standard
TQ Systems unterstützte Haibike bei der Entwicklung des Displays. Mit Gorillaglas an der Oberfläche soll es jeglicher Witterung trotzen und doch bei allen erdenklichen Lichtverhältnissen gut lesbar sein. Das transflektive Display nutzt das Umgebungslicht durch Reflexion und soll damit die Ablesbarkeit verbessern. Haibike entschied sich für ein fest verbautes Display: die Anfälligkeit abnehmbarer Systeme, bei denen es in der Praxis immer wieder zu Problemen mit den Kontakten kommt war der ausschlaggebende Grund hierfür.
Haibike versteht das Display am Flyon als zentrale Kommunikations-Schnittstelle. Hier werden Einstellungen individualisiert, Darstellungsoptionen angepasst oder auch die Tourdaten eingesehen.
Integrierte Lichtanlage für mehr Sicherheit
Eine integrierte Lichtanlage war eines der Features, die Haibike für das Flyon vorgesehen hatte. Gemeinsam mit Trelock wurde das „Skybeamer“-Lichtsystem entwickelt. Ingo Beutner erinnert sich an eine Situation, als er seinen Wunsch an ein helles Frontlicht äußern sollte. Damals sagte er: „50 Watt LED-Power wären schon schön.“ Woraufhin der Ingenieur von Trelock den Stift fallen ließ, verdutzt nach oben schaute und grinsend sagte: „Das wird eine geile Lampe.“
Der Frontscheinwerfer ist als „Skybeamer 300“ oder „Skybeamer 150“ beispielsweise auch bei Bosch nachrüstbar, während der „Skybeamer 5000“ und die signalstarken LED-Rücklichter nur beim Haibike Flyon verbaut werden können. Hierfür liegen bereits sämtliche Kabel im Rahmen, was das Nachrüsten denkbar einfach macht.
Meinung @eMTB-News.de
Die Modulation der Motor-Charakteristik ist bei einem 120 Nm starken Motor wie dem von TQ Systems sicherlich eine echte Herausforderung und das Optimum wurde auf unzähligen Testkilometern „erfahren“ und floß bei der Entwicklung des Motor-Systems ein.
Wie sich die Ingenieure und Designer von Haibike der schwierigen und zeitraubenden Aufgabe nach mehr Ergonomie und besserer Bedienbarkeit widmeten ist beispielhaft und verdient besondere Anerkennung. Liebe Haibike-Ingenieure, Chapeau, mit dem Flyon habt ihr etwas ganz Großes entwickelt!
Integriertes Licht – in einigen Jahre diskutiert da sicher niemand mehr drüber – ist für uns das richtige Signal für mehr Sicherheit und kompletteren E-Mountainbikes.
Was haltet ihr vom Haibike Flyon? Interessiert euch das neuartige Gesamtsystem und der Motor mit 120 Nm?