Wir heißen euch zu unserem Hausbesuch bei SRAM willkommen! Von Colorado Springs geht es nach zwei Tagen voller Federgabel- und Bremsen-Input bei RockShox weiter nach Osten. Tiefer gelegen und irgendwie noch etwas amerikanischer als Colorado Springs ist Indianapolis – eine für ihre Motorsport-Verrücktheit und insbesondere den Indianapolis Motor Speedway bekannte Stadt, in die wir nun einfahren. Es geht zu Zipp!
Zipp sollten insbesondere die Leser*innen kennen, die auch gerne auf schmaleren Reifen aktiv sind: Die Laufradfirma ist im Rennrad- und Triathlon-Bereich seit Jahrzehnten aktiv und brachte dann vor zwei Jahren mit der Zipp 3Zero Moto die erste und zugleich etwas andere Mountainbike-Felge auf den Markt. Besonders an der Felgen-Fertigung von Zipp: Die Produktion findet nicht in Taiwan, sondern komplett in Indianapolis statt. Und das schauen wir uns jetzt mal an.
Heute, an einem sonnigen, aber kalten Märzmorgen, ist die Stadt nicht ganz so voll. Wir parken vor einem großen, grauen Gebäude. Konträr zur zurückhaltenden Optik des Gebäudes in Colorado Springs verleugnet das Hauptquartier der Laufrad-Spezialisten von SRAM optisch weder die Rennsport-Wurzeln noch den Firmennamen – dank Zielflaggen-Optik wird direkt klar, dass wir hier bei Zipp sind. Moment mal – RockShox in Colorado, Truvativ in Kalifornien – was macht die Laufradfirma von SRAM denn so tief im mittleren Westen?
Dafür spulen wir kurz zurück zum Thema Motorsport. Denn es kommt nicht von ungefähr, dass die Firma, um die es hier heute gehen wird, in Indianapolis gegründet wurde. Vor etwas über 30 Jahren wurde mit Compositech eine Firma von Motorsport-Ingenieur Leigh Sargent gegründet, der in der Formel 1 und natürlich im Indy Car-Racing zu Hause war und unter anderem für die Carbon-Nasen und -Flügel für Rennautos verantwortlich zeichnete. Das Wissen um den Werkstoff aus Kohlefaser war also da – aus Compositech wurde Zipp und aus Überlegungen, wie man Laufräder noch besser machen könnte, entstand früh das erste Scheibenrad aus Carbon. Fortan war Zipp weit vorne mit dabei, wenn es um die rotierende Masse von Zeitfahr-, Triathlon- und Bahnrädern ging.
Springen wir ein paar Schritte vor – 2007 wurde Zipp von SRAM übernommen und nochmals einige Jahre später hieß es Koffer packen. Weg von der Main Street, nur einen Steinwurf von der Rennstrecke entfernt, ging es mit dem kompletten Firmengebäude acht Kilometer weiter stadtauswärts. Mehr Platz, mehr Möglichkeiten, aber dennoch nur 15 Autominuten weit weg – perfekt für Zipp. Na, dann gehen wir doch mal rein.
Von Spezialanfertigungen, „Beam“-Rahmen und Tischtennis-Turnieren
Wir betreten die Firma, kommen aber gar nicht weit. Bereits in der Eingangshalle erwartet uns der erste Stopp. Diese ist weniger eine Lobby als vielmehr ein kleines Museum mit zahlreichen Exponaten der mehr als 30 Jahre alten Firmengeschichte – und Declan von Zipp erklärt uns ausführlich, was wir hier sehen. Die ausgestellten Rahmen fallen uns sofort ins Auge. Moment, Rahmen? Die bauen doch Laufräder? Naja, das war nicht immer so: Ende der 80er Jahre konstruierten die Ingenieure mit dem Zipp 2001 das sogenannte „Beam“-Bike – weg von der klassischen Diamantrahmen-Form, hin zu futuristischer Optik und zu garantierter Aufmerksamkeit bei den Triathlon-Wettbewerben der damaligen Zeit.
Durchsetzen konnten sich die Triathlon-Rahmen nicht lange. Einige Hersteller, die Zipp-Laufräder für ihre Bikes einkauften, empfanden die spektakulären Rahmen-Designs als Konkurrenz – keine optimale Grundlage. So fokussierte sich Zipp wieder auf Laufräder und Komponenten wie Lenker, Vorbauten und Kurbeln. Die Rahmen sind weiterhin begehrte Sammlerstücke auf Ebay und Co. – wenn ihr also mal Lust habt, vor der Eisdiele wieder richtig für Rambazamba zu sorgen, schaut euch mal die 2001er-Rahmen an!
Ein paar Schritte die Treppe hoch erfreut uns die Sport- und Schrauber-Ecke. Hier kann gemütlich bei schlechtem Wetter mit anderen Mitarbeitern zusammen gezwiftet oder die Pingpong-Kelle geschwungen werden. Viele der Mitarbeiter*innen sind begeisterte Tischtennis-Spieler und jedes Jahr gibt es ein großes Turnier – das finale Duell im Pausenbereich schauen sich laut Declan 50 bis 60 Mitarbeiter live an.
Nesthocker und olympisches Flair
Nicht nur in den Produktionshallen, sondern auch in den Büroräumen ist deutlich zu erkennen, was hier für Produkte hergestellt werden. Überall stehen Fahrräder herum, hängen Exponate an den Wänden oder sind Türen im passenden Design ausgestattet. Lassen wir mal Bilder sprechen.
Nach kurzer Stippvisite in den Büroräumen geht es schnurstracks in die heiligen Hallen. Vorbei am DSD-Service (das kennen wir in groß aus Schweinfurt) und einem umfangreichen Lager stoppen wir vor einer milchverglasten Tür.
„Das ist unser Entwicklungslabor, in das wir euch leider nicht reinlassen dürfen. Selbst manche von uns haben dafür keinen Schlüssel …“
Und tatsächlich deutet bis auf den Schriftzug „The Nest“ nichts darauf hin, dass es hier irgendetwas zu sehen gäbe. Das ist allerdings die völlig falsche Annahme, denn darin gäbe es vermutlich ganz schön viel zu sehen: Die Ingenieure aus dem „Nest“ sind teilweise bis zu fünf Produktjahren im Voraus zugange und haben nicht nur eigene Carbon-Kühlschränke, sondern auch fertige Formen zum Ausprobieren in ihrem Zauberstübchen platziert, sodass dort drin komplett eigene Laufräder gebaut werden können. Alles unter Geheimhaltung – auch innerhalb der Firma weiß nur ein ausgewählter Kreis, was hinter der Milchglasscheibe vor sich geht.
Laut Ruan vergehen von der Idee bis zum fertigen Prototyp in einer neuen Form teilweise nicht einmal 8 Wochen – und wenn kein neues Werkzeug gebaut werden muss, sei ein Prototyp auch schonmal in zwei Tagen fertig.
Keine Prototypen, aber dafür Unmengen quasi noch warmer Scheibenräder erwarten uns einige Meter weiter. Hier lagern viele Kartons mit dem Schriftzug „Australian Olympic Team“ und für genau dieses Team ist der Inhalt bestimmt. Die Zeitfahr- und Bahnräder des australischen Radsportverbandes werden für die Olympischen Spiele mit den Produkten der US-amerikanischen Carbon-Spezialisten bestückt. Einziges Problem ist aktuell nur, dass eben noch keine Olympischen Spiele stattgefunden haben. Wir hoffen für Zipp und die Sportler Down Under, dass nächstes Jahr alles klappt und die Laufräder zum Einsatz kommen können.
Stichwort „zum Einsatz kommen“: Damit das überhaupt zufriedenstellend klappt, müssen Laufräder, wie landläufig bekannt, rund laufen und möglichst zentriert sein. Und wer bislang dachte, dass das bei starren Carbon-Scheibenrädern ja immer so ist, der liegt falsch: Selbst optimal gebaute Carbon-Laufräder weisen mitunter noch Seitenschläge auf.
Im Grunde ist die Übergangstemperatur sowohl des Kohlenstoffs als auch des Harzes das Wichtigste. Es ist entscheidend, in diesem kleinen Zeitfenster zu arbeiten, um das Carbon noch entsprechend verändern zu können. Man sollte aber schon sehr nah dran sein, bevor man damit beginnt – das ist sozusagen der letzte Feinschliff, um das zu erreichen.
Ruan Trouw, Entwicklungsingenieur Zipp
Fotografieren dürfen wir die Prozedur nicht – Firmengeheimis.
Hoher Luftdruck in der Produktion
Und dann geht es schon in die heiligen Hallen der Produktion. Lenker, Vorbauten und Co. kommen nicht aus dieser Halle, aber alle Carbon-Laufräder von Zipp werden direkt in Indianapolis produziert und das gucken wir uns jetzt an. Die große Halle wird temperatur- und feuchtigkeitsreguliert, um dem empfindlichen Roh-Mix aus Kohlefaser und Harz möglichst gute Bedingungen zur Verarbeitung bieten zu können. Zudem herrscht in der Halle ein leichter, aber ständiger Überdruck: So drückt die Luft, wenn eine Tür geöffnet wird, aus dem Raum heraus und hält mögliche Verunreinigungen besser draußen.
Die rohen Carbonmatten werden in großen Kühlschränken tiefgekühlt. Denn Kohlefaser und Harz reagieren miteinander – bei niedrigen Temperaturen wird dieser Prozess jedoch so stark verlangsamt, dass die Matten längere Zeit problemlos lagern können. Herausgenommen werden sie auch nur dann, wenn sie direkt verarbeitet werden. Dann werden die Lagen für die Weiterverarbeitung präpariert: An drei großen Schneidetischen werden einzelne und mehrfache Lagen in verschiedenen Winkeln geschnitten und für die weiteren Arbeitsschritte vorbereitet. Laut Zipp entsteht durch die vorherigen, genauen Berechnungen der einzeln verwendeten Lagen so wenig Abfall, dass dieser nichtmal genau erfasst wird – billig ist das Rohmaterial schließlich auch nicht.
„There is some technique and skill in it, they just make it look easy.“
Das Zitat kann ich bestätigen. Vor vielen Jahren kam ich bereits einmal zu dem Vergnügen, eine Carbon-Kurbel selber zu wickeln. 90 Minuten und knallrote Finger später war die Kurbel fertig, worauf uns erklärt wurde, dass die Profis das in 19 Minuten machen. Ein durchaus gnadenloser und immer noch stark von manueller Bearbeitung abhängiger Werkstoff, dieses CFK. Nun spulen wir ein bisschen vor, denn auch die Moulds dürfen wir nicht fotografieren. Ein paar Erklärungen, worauf es bei der Produktion einer Carbonfelge – uns beispielhaft an der aktuellen 3Zero Moto-Felge gezeigt – ankommt, haben wir dennoch.
Wer gedacht hat, dass so eine Felge rundherum in eine Mould gelegt wird, liegt falsch – stattdessen wird ein langer Streifen präpariert. Und bei diesem Legen und Formen eines Carbon-Bauteils gibt es zwei große Feinde: Hohlräume und trockene Fasern. Starten wir mal mit den Hohlräumen. Hierzu erklärt uns Ruan, dass die Vermeidung von Lufteinschlüssen für eine hohe strukturelle Festigkeit von hoher Bedeutung sind und man daher versuche, unter 2 % Lufteinschluss zu bleiben. Dies geschieht mit einem Verdichtungsprozess (Debulking), der durch Vakuumieren eintritt. Trockene Fasern erhält man immer dann, wenn der Harzanteil zu gering ist – um die Struktur nicht zu gefährden, gilt es, diese ebenfalls zu vermeiden. Typischerweise hat man laut Ruan in Carbonlagen einen Anteil von 60–65 % Carbonfaser und 35–40 % Harz. Bei unidirektionalen Lagen könne man laut Zipp sogar noch geringere Harzanteile verwenden – speziell für Felgen wie die 3Zero Moto sei jedoch eine gewisse Elastizität geradezu erwünscht.
„It’s like painting – everybody has a slightly different brush stroke. So you wanna find out, who is the guy who can do this the best and then you mimic his technique.“
Ruan über die verschiedenen Techniken der Carbon-Verarbeitungsspezialisten
Sämtliche Prozesse von der Carbonmatten-Anlieferung bis zum fertigen Laufrad werden bei Zipp vollständig personell dokumentiert und geprüft. Ziel sei laut Zipp dabei nicht, herauszufinden, wer die meisten Fehler macht – stattdessen erhoffen sich die Produktionsleiter eher Erkenntnisse darüber, wer am schnellsten – und somit technisch am versiertesten – arbeitet und wie man so von diesen Techniken lernen kann, um noch effizienter zu werden. Unsere Kamera muss leider auch hier aus bleiben, weswegen wir direkt zu Maria springen!
Maria ist eine der dienstältesten Mitarbeiterinnen bei Zipp und ist in dem, was sie macht, sehr gut. Sie klebt die Decals von Hand erschreckend passgenau auf die Felgen und lässt uns bereitwillig ihre Arbeit fotografieren. Von hier aus ist es auch nicht weit zu den Kolleg*innen, die für die Laufradmontage zuständig sind – jedes Laufrad wird hier von Hand aufgebaut, um die gewünschte Montagequalität garantieren zu können. Aber was ist denn das da hinten eigentlich? Ein paar Meter weiter steht ein großer, grüner Kasten, aus dem ab und zu Lichtstrahlen blitzen. Und genau hier her kommen die Laufräder mit den Grafiken aus der Eingangshalle. Dieser Drucker bedruckt alles, was nicht bei 3 auf den Bäumen ist: Teamlaufräder, Mitarbeiterportraits, Logos und vieles mehr.
Testen im Vollsprint
Die letzte Station für uns ist das Testzentrum. Das Logo des Global Testing Teams kennen wir bereits aus Colorado Springs, die Räumlichkeiten hier unterscheiden sich allerdings in einem wichtigen Punkt: Hier dürfen wir nicht fotografieren. Drum auch hier ein paar Worte, aus denen ihr euch vielleicht ein Bild im Kopf erstellen könnt: Drinnen befinden sich Druck-Tests, Aufpralltests – ähnliche Aufbauten gibt es beispielsweise auch bei Schwalbe zu sehen. Dann allerdings gibt es ein Highlight, das wir bisher so nicht mal ansatzweise gesehen haben und das wir wirklich zu gern fotografiert hätten: Ein Fahrsimulator für glatte bis sehr rumpelige Oberflächen, der aus einem mit Hindernissen bestückten Riesen-Laufband besteht, auf dem ein Testfahrer, gesichert durch Gurte, dahin sprinten kann. Das Ganze wird mit Highspeed-Kameras aufgezeichnet und ist dafür da, die optimalen Breiten, Luftdrücke und weitere nützliche Parameter für einen geringen Rollwiderstand herauszufinden. Sehr beeindruckend!
Die Zeit drängt auf unserer Mini-Tournee durch die Staaten. Hinter die Firmenbesichtigung kann ich schon einmal einen Haken machen. Was aber in Indianapolis für jeden Amerikaner und auch jeden sonstigen Besucher Pflicht ist, ist eine Runde im Bus um den weltberühmten Race-Track – und da wir schonmal in der Stadt sind, schwingen auch wir uns in den Bus zum mit Anekdoten vollgestopften, sehr netten Busfahrer. Mit Stopp auf der Ziellinie und einige spannende Geschichten später verabschieden wir uns von der Rennstrecke, holen uns noch ein Eis und machen uns mit Truckstop-Soundtrack per Auto auf nach Chicago ins SRAM-Hauptquartier.
Diese letzte Station unserer Hausbesuchs-Triologie lest ihr in den kommenden Wochen!
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