Lapierre zählt zu den traditionsreichsten Fahrradfirmen Europas und ist aktuell einer der absoluten Vorreiter auf dem E-Bike-Markt. Seit nun 20 Jahren existiert Lapierre in der jetzigen Form. Wir haben uns mit dem Firmenchef Gilles Lapierre getroffen und uns mit ihm über die Vergangenheit seines Unternehmens, den Status Quo des Enduro-Sports und die Zukunft der E-Bikes unterhalten.
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Mein Name ist Gilles Lapierre und ich bin sozusagen die dritte Generation der Firma. Das Unternehmen Lapierre wurde 1946 im französischen Dijon gegründet. Nach 70-jährigem Bestehen feiern wir dieses Jahr wieder ein Jubiläum in der Stadt, wo mein Großvater das Unternehmen gegründet hat und wo wir seit jeher niedergelassen sind. Gleich nach dem zweiten Weltkrieg hat er hier Mopeds und nebenbei auch Fahrräder verkauft. Als mein Großvater dann gestorben ist, hat mein Vater das Unternehmen und die Geschäftsführung übernommen.
Mein Vater hat die Firma weiter ausgebaut. Als ich mein Studium abgeschlossen hatte, bin ich 1985 in das Unternehmen eingestiegen. Damals habe ich mich hauptsächlich um den Bereich Fahrradteile gekümmert. In der Zeit war ich auch viel in Asien unterwegs, wo zu der Zeit noch recht wenig in der Fahrradindustrie passierte. Das erste Mountainbike habe ich deshalb in Kalifornien bei Mr. Ritchey entdeckt und mich dann entschlossen, meine eigenen Bikes zu bauen. Ich habe zwei oder drei Modelle mit klassischen Lenkern importiert – es gab damals nur eine Art von Lenkern – und bin dann mit ein paar Freunden auf den Bikes gefahren. Das Konzept Mountainbike war für mich Liebe auf den ersten Blick! Für uns war dann klar, kräftig in diesen Markt zu investieren.
Wie hat sich die Firma Lapierre dann entwickelt? War es schwierig, sich auf dem Markt zu etablieren?
Es war eine absolute Neuheit für uns und wir mussten uns von Anfang an gegen etablierte amerikanische Hersteller durchsetzen. Wir haben uns entschlossen, das erste Mountainbike-Team in Frankreich zu gründen – und wurden direkt Weltmeister in Durango! Das hat uns natürlich direkt eine gewisse Berühmtheit im Mountainbike-Business verschafft. Zurückblickend war es wirklich etwas ganz Besonderes, von Anfang an mit dabei zu sein. Die Leute wissen dann sofort, dass du ein Experte bist.
In der Zwischenzeit hatte ich mich entschieden, den Bereich Fahrradteile aufzugeben und habe mich stattdessen voll und ganz auf die Entwicklung der Komplettbikes konzentriert. 1993 kam dann eine niederländische Beteiligungsgesellschaft auf uns zu – mit dem Angebot, unsere Firma zu kaufen. Da wir ein Familienunternehmen waren, fiel uns die Entscheidung nicht leicht. Wir haben aber schließlich unter einer Bedingung zugesagt: Wir haben 33 % der Anteile verkauft und vertraglich festgehalten, dass wir die restlichen 66 % erst nach drei Jahren an die Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt den Namen Athen trug, zu verkaufen – und auch nur, wenn das Unternehmen innerhalb dieser drei Jahre eine positive Richtung einschlägt. Ich war Teil des Vertrags. Also war es auch unmöglich, dass dieser Wechsel ohne mich abläuft. Ich beschloss dann, die Forschung und Entwicklung mit allen Mitteln voranzutreiben. Seitdem haben wir viele neue Systeme entwickelt. 2016 bin ich im zwanzigsten Jahr als Geschäftsführer bei Lapierre dabei.
Ist heutzutage der Wettkampf-Sport noch von großer Bedeutung?
Ja! Wir sind aktiv in verschiedenen Bereichen des Wettkampf-Sports: Im Rennrad-Bereich, im Enduro und bis zum letzten Jahr auch im Downhill-Weltcup. 2015 wurden wir sogar Weltmeister im Downhill und haben uns dann entschlossen, uns aus diesem Bereich zurückzuziehen. Das machen wir immer so, wenn wir ganz oben sind. Zukünftig konzentrieren wir uns auf die Bereiche Rennrad und Enduro – inklusive E-Bikes, die meiner Meinung und Vision nach eigentlich bereits am Anfang des Mountainbike-Sports standen.
Sie konnten über viele Jahre hinweg die Konjunkturzyklen in der Bike-Industrie verfolgen. Das hat sicherlich auch ihre Vision der E-Bikes beeinflusst. Wie sehen andere Firmen diese Vision?
Aktuell sind wir in Europa als Teil der Accell Group sehr bekannt und erfolgreich – auch dank unserer E-Bikes. Allerdings sind hier unsere Kunden in erster Linie Pendler, die die E-Bikes für die Fahrt zur Arbeit nutzen. Im Vergleich zur Konkurrenz besitzen wir einen Größenvorteil hinsichtlich Produktion und Marketing. HaiBike und Lapierre waren die ersten Firmen, die sich im E-Mountainbike-Segment etablieren konnten. Heute sehen wir, dass viele weitere Firmen versuchen, hier Fuß zu fassen. Wir haben uns unseren guten Ruf bereits hart erarbeitet. Andere Firmen können hingegen den Eindruck erwecken, opportunistisch zu handeln. Außerdem haben wir den entscheidenen Vorteil, dass wir innovativ und immer einen Schritt voraus sind.
Ist die Disziplin Enduro auf dem Sprungbrett zum E-Bike Wettbewerbssport? Und wird es bald eine weltweite E-Bike-Rennserie geben?
Ja, ich denke schon. Was wir bislang in Frankreich und auch in einigen anderen europäischen Ländern beobachten können: Es werden recht viele Mountainbike-Rennen mit normalen Bikes ausgetragen. Aber die Veranstalter sind sehr offen für E-Bikes. Wir sehen bei vielen bekannten Fahrern, dass sie von normalen Mountainbike-Rennen zu E-Mountainbike-Rennen wechseln möchten. Das trifft beispielsweise auch auf Nico Vouilloz zu. Außerdem zeigen mehr und mehr Frauen Interesse am E-Bike-Rennen.
Wie sieht das Ihrer Meinung nach in den USA aus?
In den USA herrschen sehr komplizierte Vorschriften. Ich war beim Sea Otter und konnte mir vor Ort einen Eindruck verschaffen: Mancherorts sind E-Bikes erlaubt, in anderen Orten hingegen komplett verboten. Die Vorschriften dort sind sehr verzerrt. Teilweise werden motorgestützte Bikes und E-Bikes in denselben Topf geschmissen. Bosch, HaiBike und wir von Lapierre versuchen zu verdeutlichen, dass man in die Pedale treten muss, um den Antrieb zu aktivieren – und dass die Amerikaner deshalb die Vorschriften in den verschiedenen Staaten anpassen müssen. Das wird aber noch dauern.
Wie ist es dann möglich, dass Europa da einheitlichere Regelungen gefunden hat?
Bis 25 km/h sind sich alle einig, das stimmt. Die Vorschriften bis 45 km/h sind für Fahrräder aber auch nicht überall gleich. In manchen Ländern mit sehr strengen Vorschriften muss das Fahrrad zugelassen werden, weil es bereits zur Kategorie der Mopeds gehört. Man kann hier mit einer einheitlichen europäischen Regelung rechnen – auch das wird aber noch seine Zeit brauchen. Bis dahin ist die 25 km/h-Regelung allseits bekannt und jeder fährt gut damit.
Ist es für Lapierre denn überhaupt von Vorteil, Teil einer so großen Gruppe zu sein?
Unser Vorteil ist das einzigartige Geschäftsmodell. Wenn Sie genau hinschauen werden Sie erkennen, dass es eine dezentralisierte Gruppe ist. Ich muss sicherlich auch Berichte vorlegen, an Besprechungen zu Budgets und so weiter teilnehmen. Aber im Prinzip leite ich das Unternehmen, als ob es mein eigenes wäre. Für das Marketing, die Entscheidungen über die Herstellung der Bikes und für das Sponsoring bin ich zuständig. Mit dem Budget, das ich dann vorlege und der Vision, die ich nun seit 20 Jahren habe, bin ich bislang noch nie auf Widerstand gestoßen.
Welche Rolle spielt das Rennradteam für das Ansehen Lapierres innerhalb der Gruppe?
Es ist natürlich nützlich, ein Rennradteam zu haben, das bei der Tour de France mitfährt. Lapierre ist dadurch von allen Marken in der Gruppe international am stärksten vertreten. Wir decken alle Bereiche auf höchstem Niveau ab – jetzt auch mit E-Bikes.
Wie anstrengend ist es eigentlich, ein Fahrradunternehmen zu führen?
Als alleinstehendes Unternehmen ist es heutzutage sehr kompliziert: Man erhält nur schwer Zugang zu den Hauptzulieferern. Es ist besser, groß zu sein. Als wir 1996 die Entscheidung über die Zukunft der Firma trafen, sahen wir die Zukunft in den Händen großer Gruppen. Selbst kleinere Hersteller wie Santa Cruz sind inzwischen Teil einer großen Gruppe. Es zeigt, dass man über eine gewisse Macht verfügen muss, um zu den Zulieferern zu gehen und etwas bewegen zu können. Kurz gesagt: Uns wird zugehört.
Wer ist die einflussreichste Kraft im Fahrradsport?
Das kommt ein wenig auf die Definition von „Einfluss“ an. Heutzutage haben Verbraucher mehr und mehr Macht: Der Kunde ist König. Er war natürlich auch in der Vergangenheit schon König, ist aber heutzutage besser informiert als früher. Mit Google und Co. treffen wir unsere Entscheidungen anhand der Informationen, die wir von der Masse erhalten. Wir schenken den Anforderungen der Endverbraucher sehr viel Aufmerksamkeit. Auch die sozialen Medien spielen eine wichtige Rolle: Dadurch lässt sich leicht erfassen, wie viele Leute unsere Ideen verfolgen.
Und zum Abschluss: Was erwartet uns als nächstes?
Ich denke, dass wir zukünftig viel über die Integration des Produkts lesen werden. Batterien, Motoren, Kabel … ich meine damit also alles! Die Zukunft stellt ein nacktes Fahrrad da, bei dem alles integriert ist – so wie heutzutage bei einem Auto. Außerdem wird es viel mehr Automatisierung und Elektronik geben. Ich bin überzeugt: Die komplette Dämpfung wird zukünftig elektronisch sein. Es macht einfach Sinn!
Weitere Informationen
Webseite: www.bikes-lapierre.de
Text & Redaktion: Alex Boyce | eMTB-News.de 2016
Bilder: Damiam McArthur