Das legendäre Ford T-Modell gab es nur in Schwarz. Warum? Weil man dadurch nur eine Lackierstaße brauchte und die Fertigung beschleunigen konnte, denn der schwarze Lack trocknete am schnellsten – außerdem vereinfachte eine Farbe die Ersatzteilversorgung extrem. Damals waren die Anforderungen an Produktdesigner noch viel bodenständiger als in der Gegenwart, fast 100 Jahre später. Heute, in Zeiten, in denen Design allgegenwärtig ist und Apple mit seinen vollkommen neuartigen Produkten sämtliche Design-Regeln bricht, umgestaltet und weiterentwickelt, ist ein hochwertiges Produktdesign wichtiger denn je. Wir haben mit Lutz Scheffer, dem besten deutschen Produkt- und Industriedesigner der Bikebranche, über die Zukunft von E-Bikes gesprochen.
Es gibt viele Grafiker und Produkt-/Industriedesigner die sich mit E-Bikes beschäftigen und ihnen ein modernes Aussehen geben. Grafiker machen dies in erster Linie über poppige Farben und modernes Dekor. Dazu gesellen sich Produkt-/Industriedesigner und Ingenieure die sich um das Fahrwerk, die Rohrformen, das Erscheinungsbild und die Rahmengeometrien kümmern. Aber Denker, Freigeister, Visionäre, Menschen, die mit Mut etwas vollkommen Neues erschaffen wollen, couragierte Visionäre, wie es seinerzeit Chris King, Tom Ritchey, Gary Fisher oder Joe Breeze waren, sucht man in der Welt der E-Bikes wie die Nadel im Heuhaufen. Es gibt sie beinahe nicht! Aber nur beinahe, denn mit Lutz Scheffer haben wir einen deutschen Designer und Entwickler der die Welt der E-Bikes nachhaltig verändern könnte.
Lutz Scheffer, aus Garmisch-Partenkirchen, ist einer dieser ganz wenigen deutschen Macher, die das E-Bike durch ihre Konzepte und mutigen Ansätze revolutionieren können und es auch wollen. Er ist einer derer, die die visionäre Kraft besitzen und den kindlichen Blick dafür haben, um das Potential dieses Produktes von allen Seiten zu betrachten, zu bestaunen und weiterentwickeln zu können. Seine Herangehensweise ist nicht von lautem Marketing-Tamtam begleitet, sondern wird im Stillen erdacht, im kleinen Büro kreiert und auf unzähligen Testfahrten überprüft. Lutz entwirft echte Konstruktionen und Konzepte die frisch wirken und noch nie da gewesen sind. Gerade diese Stille um ihn herum macht Lutz so sympathisch.
Akku- und Motor-Integration, hier liegt der Schlüssel zu einem vollkommen neuen E-Bike. Es gibt zwar Aussagen von manchen Designern, die die Meinung vertreten, dass man den Akku und Motor als klares Merkmal eines E-Bikes auch mit Stolz zeigen solle, aber aus eigener Erfahrung wissen wir, dass sich gerade daran viele Nutzer stören. Der Erfolg eines Specialized Levo kommt nicht von ungefähr, denn nur ganz wenige wollen einen eckigen Akku-Kanister auf einem formschönen, dünnen Unterrohr platziert haben. Man ist gezwungen, es zu akzeptieren, weil es bisher leider nur wenige Hersteller und Designer gibt, die sich dieser komplexen Aufgabe angenommen haben. Lutz zeigt in seinen Konzeptstudien, wie eine formschöne, attraktive Integration aussehen kann.
eMTB-news: Lutz, viele kennen dich durch deine Zusammenarbeit mit Canyon. Seit Anfang 2017 gehst du eigene Wege. Würdest du dich bitte kurz vorstellen?
Lutz Scheffer: Hallo an alle Leser, mein Name ist Lutz Scheffer, ich bin 1966 in Freiburg geboren, habe ein Studium zum Industrie- und Transportation-Designer in Pforzheim absolviert. Nach erfolgreichem Abschluss war ich als Designer und Konstrukteur bei der Firma VOTEC und gründete später meine eigene Marke „Bergwerk”. Nach einiger Zeit kam ich zu Canyon, wo ich von der ersten Stunde an verantwortlich für Design und Konstruktion war.
Du lebst in Garmisch Partenkirchen, in den Alpen. Eine tolle Gegend um eMTB zu fahren. Hat es dich schon immer an Orte gezogen, wo sich Wohnen und Biken perfekt miteinander verbinden lassen?
Ich habe immer in den besten Bikeregionen gelebt.
Absolut. Die Kombination aus Leben, Biken und Arbeiten war mir schon immer sehr wichtig. Deshalb bin ich immer an den nettesten Bike-Orten wohnhaft. Schwarzwald-Freiburg, Pforzheim, Comersee (Italien) und mittlerweile seit über 10 Jahren in Garmisch-Partenkirchen.
Bist du Biker der ersten Stunde oder wann hast du mit dem Biken angefangen?
Biken, Segelfliegen, Drachenfliegen, Gleitschirmfliegen, Klettern, Bergsteigen, Skitouren gehen. Wichtig ist mir bei meinen Hobbys die Umgebung – ich brauche die Berge wie die Luft zum Atmen.
Angefangen habe ich mit dem Mountainbiken 1980, als es noch überhaupt keine Mountainbikes gab. Damals haben wir in Denzlingen (bei Freiburg) begonnen in unserer Fahrrad-Gang, mit aus Sperrmüll zusammengebauten Fahrrädern, die Wanderwege vom Kandel (unser Hausberg) runterzufahren. 1.028 Tiefenmeter feinster Singeltrail und heute immer noch eine spannende Abfahrt.
Mein 1980er Bike hatte immerhin eine Ciao-Federgabel aus dem Mofa und war mit einer Trommelbremse ausgestattet. Einige Jahre später konnte ich mein erstes echtes Mountainbike bei Fahrrad Hild (Anmerk. der Redaktion: Fahrrad Hild ist eine Institution in Freiburg und wurde 1878 gegründet) kaufen. Seit dem bin ich dem Mountainbike-Virus vollständig verfallen.
Ich bin aber auch bei meinen Hobbys ein Mensch, der gerne über den Tellerrand hinaus schaut und betreibe noch diverse andere Sportarten.
Deine Ideen sind oftmals ihrer Zeit voraus und mit deinen Visionen zeigst du oftmals auf, was technisch machbar sein kann und worauf man sich in der Zukunft freuen darf. Wie sehen deine Visionen für das eMTB aus?
Anfang 2016 war ich noch vehementer Gegner jeglicher Motorisierung bei MTBs – doch im Frühjahr startete ich einen Selbstversuch. Ich wollte so viele Trails und Höhenmeter mit einem eMTB fahren, wie es nur irgend geht. Ende des Jahres standen 250.000 Höhenmeter auf dem Tacho und ich war restlos überzeugt vom Thema eMTB. Neben all dem Positiven, sind mir aber auch sehr deutlich die Schwachstellen aufgefallen. Meine durchschnittliche Tourlänge betrug 1.800 Höhenmeter. Das ist nur mit einem störenden Ersatzakku im Rucksack möglich.
Was muss sich in deinen Augen am schnellsten bei E-Bikes ändern?
Akkupower, bessere Traktion und die perfekte Kinematik – hier wird sich einiges tun.
In Zukunft müssen eMTBs, die auf alpinen Wegen und Trails bewegt werden, mindestens 1 kWh Batterien besitzen. Stromsparen ist keine Option, denn die steilen Uphilltrails benötigen definitiv mindestens 400–600 Watt zusätzliche Power, damit sie überhaupt sinnvoll befahrbar sind.
Zweites Problem ist die Traktion: Das Hinterrad muss eine enorme Traktion aufbauen können. Dicke 2,8″ Plusreifen haben sich zunehmend als ideal herausgestellt. Damit der Hinterbau nicht zu lang wird und das Hinterrad-Achsniveau möglichst niedrig bleibt, wäre ein 26″ Hinterrad mit einem Plusreifen ideal. Ein niedriges Hinterrad-Achsniveau ist wichtig, damit man das Bike möglichst agil um die Querachse bewegen kann. Vorderrad-Pickups bei Uphill-Stufen und Uphill-Wheelies (für max. Traktion) fallen so deutlich leichter. Das Vorderrad kann hingegen nicht groß genug sein, für meinen Geschmack ist vorne ein 29″ x 2,6″ ideal. Ein zu breiter Vorderreifen stört die Fahrpräzision und wird zu schwammig.
Ein weiteres, wichtiges Thema ist die Kurbellänge. Hier ist kürzer nämlich mehr, jedenfalls in alpinem Gelände. Ab 140 mm Kurbellänge kommt ein ungetrübter Uphill-Flow auf, denn damit kann man ohne Probleme schwierige Trail-Passagen durchtreten, ohne sich die im Steilgelände extrem gefährlichen Pedalclippings einzufangen. Da ‘Leistung = Drehmoment x Drehzahl’ gilt, stören die kurzen Kurbeln nach schneller Umgewöhnung überhaupt nicht, sofern man die Kurbel-Drehzahl um ca. 20 % von 80 U/min auf 95 U/min erhöht. Reichhöhe und Batterieverbrauch bleiben exakt auf gleichem Niveau. Voraussetzung: Drehfreudiger Motor / Bosch CX. Weitere Voraussetzung: 14er Ritzel vorne und 11–48 SRAM EX1-Kassette hinten.
Thema SRAM EX1, was hältst du von den jüngsten Entwicklungen in Sachen Schaltung?
Am eMTB braucht man 8 Gänge, die perfekt abgestimmt sind. Alles andere ist überflüssig.
Mehr als 8 Gänge und eine Spreizung von 436 % (8–35 km/h) benötigt man mit einem kräftigen E-Mittelmotor nicht. Der zugkraftunterbrechungsfreie Gangwechsel der SRAM EX1 ist enorm hilfreich in fahrtechnisch schwierigen Situationen. Auch wenn sich viele E-Biker eine hohe Anzahl an möglichen Gänge wünschen – weniger Gänge sind beim eMTB eindeutig besser. Um die Leistung eines E-Bike optimal zu regulieren, sind Pedalkrafterhöhung und Drehzahlregulierung notwendig. Innerhalb eines Gangsprunges muss das Drehzahlband breit genug sein. Bei 10 oder 11 Gängen mit weniger Spreizung, wie beispielsweise bei Shimano 11–46 (418 %), ist das regulierbare Drehzahlband zu eng. Die Folge hiervon: Man ist permanent am Schalten und hat wesentlich häufiger störende Schaltunterbrechungen.
Du bist ein sehr weitsichtiger Designer und Entwickler, was meinst du, wie wird die Zukunft des eMTBs aussehen?
Produktmanager, die das Gegenteil behaupten, sind vermutlich noch kein eMTB mit dieser Spezialbereifung gefahren.
Kleine, stabile, dick bereifte Hinterrädern und große schmal bereifte Vorderrädern gehört die Zukunft. Im Motorradbau Motocross/Enduro hat sich seit Jahrzehnten dieses System aus klein & dick gepaart mit groß & schmal bestens etabliert. Mein aktueller Prototyp ist wie folgt ausgestattet: 26″ x 2,8″ hinten und 29″ x 2,6″ vorne. Ich könnte mir sogar für die Zukunft 24″ x 3,0″ hinten vorstellen. Das kleinere Laufrad ist nämlich noch leichter und viel stabiler. Gleichzeitig sinkt das Achsniveau weiter nach unten. Mit diesen unterschiedlichen Laufrädern fährt sich ein eMTB noch viel besser auf engen Trails und überzeugt in alpinem Gelände. Produktmanager, die das Gegenteil behaupten, sind vermutlich noch kein eMTB mit dieser Spezialbereifung gefahren.
Du bist der Meinung, dass die Kinematik eine eMTB nicht mit der eines motorlosen MTB vergleichbar ist. Kannst du uns das bitte erklären?
Eine spezielle Kinematik für eMTBs, gepaart mit einem super weich abgestimmten Federweg in Verbindung mit möglichst geringen ungefederten Massen, das ist die Zauberformel für die Zukunft.
Das Thema Kinematik muss weitergedacht werden. „Wippunterdrückung durch Pedalrückschlag” – wie es bei klassischen, motorlosen Bikes üblich ist – ist auf eMTBs nicht übertragbar. Jeder Pedalrückschlag beim Einfedern führt unweigerlich zu einem Motorrückschlag und das bedeutet, dass wertvolle Antriebsenergie bei jeder Einfederung vernichtet wird. Der Elektromotor eines eMTBs mit klassischer MTB-Kinematik wird bei jeder Einfederungsbewegung abgebremst und muss aus dem Drehzahlkeller neu anfahren. Das kostet hochgerechnet auf Tausende von Fahranstößen unglaublich viel Antriebsenergie. Antisquat bei klassischen Bikes ist in Wirklichkeit nur eine Wippunterdrückung der Federung. Der phasenweise wirkende Kettenzug verhärtet die Federung. Beim reinen Pedalantrieb wünschenswert, aber bei E-Bikes ist dieses Verhalten kontraproduktiv.
Antisquat bedeutet im Fahrzeugbau: Anfahrmoment-, Nick-Unterdrückung und ist nur über die Schwingengeometrie zu erreichen. Hierzu ist eine leicht schräggestellte Federung mit einem Schrägfederwinkel das beste Mittel der Wahl und im Motorradbau Stand der Technik. Das bedeutet in der Realität, dass das eMTB in Zukunft vollkommen neue Kinematiken und Fahrwerksauslegungen braucht.
Du warst viele Jahre bei Canyon tätig. Seit Anfang 2017 hast du gemeinsam mit Rotwild das Advanced-Design-Center gegründet. Womit beschäftigt ihr euch dort?
Momentan sind wir noch am Einrichten, aber im Frühjahr werde ich mit meinem Homeoffice in das neue Rotwild-Entwicklungscenter umziehen. Arbeits-Schwerpunkt ist CAD-Konstruktion und Design-Entwicklung in Verbindung mit Fahrtests in alpinem Gelände. Hierbei geht es vorwiegend um die Neuentwicklungen der eMTBs. Für diese Entwicklungsarbeit ist es elementar wichtig, dass in harten, langen und anspruchsvollen Uphill-Testfahrten auf alpinen Trails getestet wird – denn hier kommt jede technische Schwäche unweigerlich zu Tage. Das soll nicht heißen, dass alle E-Bikes vom Kunden nur in alpinem Gelände gefahren werden. Wir sind aber der Meinung, dass ein Produkt, das hier besteht, auch in allen anderen Situationen und Geländebedingungen bestens funktioniert.
In diesem Gelände und auf unseren Teststrecken können Motorunterschiede exakt mit unterschiedlichen Reichhöhen ermittelt werden. Wir haben Teststrecken die auf 50 Höhenmeter genau ein Motor-/Batteriesystem einordnen können. Auf einigen dieser selektiven Trails, scheidet jeder antriebsschwache Motor aus.
Mit Leistungsmesspedalen, Batterieverbrauch-Messgeräten und den Geschwindigkeits-/Höhenmeterdaten können wir jedes eMTB erstaunlich genau unter die Lupe nehmen. Modernste Prüfstände in sterilen Testlabors sind nur graue Theorie und spiegeln die Verhältnisse nur unzureichend wider. Federungsvorgänge, Traktion, Schaltvorgänge, Wiederanfahr- und Lastschwankungen können ausschließlich in der Praxis getestet werden. Das Gefühl auf selektiven Uphills und den entsprechenden langen Abfahrten lässt sich nur auf Trails mit großen Höhenmeterunterschieden ermitteln.
Rotwild hat eine große Fangemeinde und steht weniger für mutige Visionen, als mehr für konservative Entwicklungen. Wie bekommst du deine Ideen und neuen Konzepte in Einklang mit der Denkweise von Rotwild?
Das Rotwild-Engineering legt großen Wert auf Funktionalität ohne Effekthascherei.
Rotwild steht für eine hohe Produktqualität, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit. Das Rotwild-Engineering legt großen Wert auf Funktionalität ohne Effekthascherei. Seit über zwanzig Jahren entwickelt Rotwild Bikes mit einem eigenen Ingenieur-Team. Hier hat sich eine enorme Menge an Wissen und Erfahrung angesammelt. Rotwild hat das eMTB von Beginn an, ohne Wenn und Aber, gleichberechtigt in die Mountainbike-Palette integriert. Hier war Rotwild, ebenso wie mit der hochgradigen Integration von Batterien in einer tragenden Carbon-Ummantelung, absoluter Vorreiter.
Die Entwicklungen der eMTBs geht allerdings in einem Express-Tempo voran, wodurch es sehr wichtig ist, praktische Erfahrungen in alpinem Gelände mit unterschiedlichsten Batterie- und Motorkonzepten zeitnah in künftige Modelle umzusetzen. Rotwild ist diesbezüglich sehr offen und das Rotwild-Concept Design Center in Garmisch-Partenkirchen unterstreicht diese Bereitschaft.
Lieber Lutz, wir danken dir für dieses aufschlussreiche und extrem informative Gespräch.
Wie findet ihr die Konzepte von Lutz und was haltet ihr von seinen Zukunfts-Visionen?
Weitere Informationen
Website: www.rotwild.de | www.scheffer-design.com
Text & Redaktion: Rico Haase | eMTB-News.de
Bilder: Rico Haase