Megavalanche mit dem E-Bike
Vor vielen Jahren, weit vor YouTube, Instagram, Facebook und Co., sah ich Bilder der Megavalanche in einem großen deutschen Montainbike-Magazin. Damals wollte ich unbedingt mit meinem Specialized Big Hit dort an den Start gehen. 2021 war es dann endlich soweit, ich stand mit meinem E-Bike am Start der legendären Megavalanche – ein Jugendtraum wurde wahr!
Die Megavalanche, kurz Mega, findet seit 1995 in der Gegend um das kleine Örtchen Alpe d’Huez in den französischen Alpen statt. Freund*innen der schmalbereiften Rennrad-Fraktion kennen die Straße und den legendären Anstieg mit seinen 21 Kehren hinauf in den Skiort wahrscheinlich aus dem Fernsehen, aus Büchern oder waren selbst schon vor Ort, wenn sich der Tross der Tour de France hier hinaufquälte und Helden geboren wurden.
Erfinder des Rennformates Megavalanche ist George Edwards, seines Zeichens Mountainbike-Pionier. 1995 fand das erste Megavalanche-Rennen mit Massenstart statt, bei dem 400 Fahrer*innen an den Start gingen. Die Streckenführung gleicht sich, bis auf wenige Änderungen, jedes Jahr. Um am Renntag eine vordere Startreihe zu ergattern, muss am Tag vor dem Rennen eine Qualifikation gefahren werden, bei der sich die Schnellsten in den vordersten Linien einreihen dürfen. Seit 2007 verzeichnet der Veranstalter steigende Teilnehmendenzahlen aus dem Ausland, was sicherlich auch auf die starke mediale Wirkung der Mega zurückzuführen ist. 2013 standen 2.000 Fahrer*innen aus über 30 Ländern am Start und zelebrierten den Massenstart oben auf dem Gletscher des Pic Blanc.
Da die Rennszene in Frankreich auch schon länger auf E-Bikes unterwegs ist, gibt es seit einigen Jahren bei der Mega eine gesonderte Wertungsklasse für E-Bikes, die E-Mega.
Orbea Rise – ideal für die Mega
Für ein derartiges Rennen, bei dem es nicht um schiere Reichweite, sondern eher um Performance auf dem Trail geht, bietet es sich an, ein potentes Light-E-MTB zu wählen. Ich entschied mich für das Orbea Rise – Test gibt’s hier – welches ich etwas modifiziert hatte.
Um mehr Komfort an der Front zu haben, baute ich eine RockShox Domain-Federgabel mit 160 mm Federweg ein und tauschte die Serien-Griffe gegen ergonomische SQlab 70X, die sehr angenehm in meinen Händen liegen. Dazu verbaute ich Handschützer von AVS, denn wenn ich schon kaum die French-Lines (Racer*innen – nicht nur aus Frankreich – versuchen im Rahmen der Streckenabsperrung immer den kürzesten Weg zu nehmen, also eine Abkürzung zu fahren. Anm. d. Redaktion) fahren kann, wollte ich wenigstens in passendem French-Style unterwegs sein. Nein, Spaß beiseite, die Handschützer sind einfach super hilfreich, wenn man durch vollkommen unbekanntes Terrain fährt, denn wie schnell haut man sich bei solchen Aktionen einen Ast oder Büsche von vorne gegen die Finger?
Die E-Mega – was geht da eigentlich ab?
Als ich vor gut 20 Jahren zum ersten Mal in einem namhaften, gedruckten Magazin von der Megavalanche las, war ich angefixt von diesem verrückten Rennen an den Hängen oberhalb von Alpe d’Huez. Diesen sagenumwobenen Ort kannte ich nur aus dem Fernsehen, denn im Sommer quälten sich hier die Fahrer der Tour de France hinauf in den kleinen Skiort auf 1.860 Höhe über Null. Auf dem Anstieg wurde Geschichte geschrieben. Hier wurden Helden geboren, während andere in Qualen untergingen.
Damals wollte ich mit meinem Specialized Big Hit mit Marzocchi 888-Doppelbrückengabel starten – leider ging es sich nie aus. In den letzten Jahren rief die Megavalanche oft nach mir, Freund*innen fuhren mit dem E-Mountainbike mit und waren begeistert. 2021 ist es endlich so weit.
Ich reise gemeinsam mit meinem Bike-Buddy Eliot – ein endschneller Franzose, der zum 15. Mal bei der Mega startet – am Mittwoch an und wir brauchen für den Transfer gute 10 Stunden. Donnerstag und Freitag wollen wir trainieren. Also ankommen, Ferienwohnung beziehen, E-Bikes ausladen und checken, Abendessen und Feierabend.
Der Donnerstag steht im Zeichen des gemütlichen Einrollens, später wollen wir auch die Strecke der Qualifikation probieren, denn hier gibt es einige Abkürzungen, die mir Eliot unbedingt zeigen möchte. Der Tag vergeht mit einigen Runs, am Abend bin ich müde und happy.
Am Freitag heißt es dann: Ab auf den Gletscher und danach noch mal die Qualistrecke checken. Der Gletscher liegt auf gut 3.300 m Höhe. Schon auf den ersten Metern denke ich mir: Verdammte Axt, das Ding ist steiler als gedacht. Ich rolle langsam rein und versinke augenblicklich im weichen sulzigen Schnee, der mir stellenweise bis zu den Naben reicht. Der Gletscher ist für mich unfahrbar. Unschiebbar. Unfassbar! In den steilen Sektionen versuche ich, mit einem Fuß im Pedal stabil ins Rutschen zu kommen. Hierfür muss ich erstmal die richtige Position eines Tripods – ein Fuß im Pedal eingeklickt, das andere Bein weit draußen im Schnee und der Hintern knapp über dem Rad weit hinter dem Sattel – einnehmen und irgendwie durch den Schnee kommen. Ein schier unendlich langes Schneefeld erstreckt sich vor mir, welches ich kopfschüttelnd und schiebend durchquere. Danach führt der Trail noch einige Kilometer durch einen Bach – bitte nicht wörtlich nehmen, es ist das Schmelzwasser, welches ununterbrochen den Trail hinab läuft. Durch diesen Umstand sind nun nicht nur die Socken in den Schuhen nass, sondern auch der Schlüpper, die Handschuhe und die Polster im Helm – alle restlichen Klamotten natürlich inklusive.
Weiter unten zieht dann dichter Nebel auf. Die Sichtweite beträgt teilweise keine 10 Meter, somit ist an ein flüssiges Fahren nicht mehr zu denken. Wir wollen uns aber auch den Rest der Strecke anschauen und wenigstens einmal komplett bis runter nach Allemond fahren. Die Hänge sind durchweg steil und der Boden sehr, seeehr lehmig. Teilweise gleicht der Trail einer Wildwasserrutsche aus dem Freibad – die Form ist sehr ähnlich, die Kurven auch und der Grip liegt auch hier bei Null. Unterschied: Die Trails sind viel steiler, deutlich länger und man hat mehr an als eine Badehose. Ich habe keine Idee, wie ich diesen Abschnitt fahren soll und sauge jeden Tipp von Eliot auf.
Später geht es ein Stück Asphalt-Straße und Forstweg hinunter, was ich echt super fahren kann. Dann nochmal ein Abstecher in einen dunklen, von Wurzeln durchzogenen Wald. Diesmal finde ich aber etwas Grip auf den vielen nassen Wurzeln.
Beim Kaffee am Nachmittag kann ich die Megavalanche in 3 Teile filetieren:
- DER Gletscher.
- Alpines Rasiermesser-Geröll.
- Griplose Lehmrutschen.
Am Ende des Tages bleiben für mich mehrere Fragezeichen offen … DER Gletscher, das alpinen Rasiermesser-Geröll und die griplosen Lehmrutschen … Wie zum Geier soll ich da schnell runterkommen??
Freitag fahren Eliot und ich mehrmals die Strecke der Qualifikation. Hier gibt es im oberen Teil eine Schlüsselstelle, ein fast senkrechter, mit groben Stufen gespickter, gut 4 Meter hoher Felsabsatz, den ich noch kein einziges Mal runtergefahren bin. In jedem Run hielt ich kurz davor an, schaute souverän in den Hang und rief zu Eliot: Genau da muss man lang fahren. Ob das geht? Ich hatte wirklich keine Ahnung!
Megavalanche 2021 – die Qualifikation mit ungelöster Schlüsselstelle
Um 14:30 Uhr geht es für die E-Biker*innen los, also für Startnummer 1101 bis 1170. Fast 40 E-Mountainbikes rollen an den Start. Ich kann aus der ersten Reihe starten, da ich mich sehr früh angemeldet habe und demzufolge eine niedrige Startnummer bekam.
Ich ordne mich zwischen den beiden Favoriten Ben Moore auf Orange und Emanuel Pombo auf KTM von Miranda Racing ein, die sofort nach dem Start wie zwei wildgewordene Stiere nach vorn preschen, um schon ab der ersten Kurve die Quali zu kontrollieren. Ich bin gut dabei, sprinte mit, zirkel um die ersten Kehren in groben Geröll und komme flott auf den Trail. Der Puls wird schneller, ich denke an die Schlüsselstelle, die nach wenigen Kurven lauert. In jedem Trainings-Run hielt ich dort an, schaute konzentriert und souverän auf die Linie, nickte und wusste genau, wo ich langfahren muss. Natürlich nicht! In Wahrheit hatte ich keinen Schimmer, wie ich den fast senkrechten, mit groben Stufen gespickten, gut 4 Meter hohen Felsabsatz flüssig fahren soll. Im Rennen geht es dann irgendwie. Zwar klicke ich ungewollt aus, rumpele aber trotzdem runter und bleibe auf dem E-Bike.
In den nächsten Kurven höre ich dauernd das Bremsen einen Rivalen, der mir sehr dicht auf den Fersen ist. In einer Kurve passe ich nicht auf, verfehle die Abkürzung und zack, ist er vorbei. Gut! – denke ich, denn so kann ich seine Linien fahren und Kraft sparen. Einige Kurven später kommt mir eine French-Line zugute, die mir Eliot im Training gezeigt hatte. Während der Fahrer vor mir in eine weite Kurve einbiegt, bremse ich hart runter, reiße den Lenker rum und biege rechts in eine grobe Geröllrinne ab, mit der ich die komplette Kurve abkürzen kann. Danach bin ich noch kurzzeitig der Gejagte, aber auf den langen Pedalierstücken kann ich viel Vorsprung rausfahren und bis ins Ziel halten. Am Ende Sieg bei den Masters und Platz 11 unter allen E-Biker*innen für mich, ich bin extrem happy! Damit ist klar, dass ich am Sonntag aus Reihe A in den Gletscher starten kann.
Am Abend zieht Regen auf. Mit Sorgen, die den Gletscher und den Lehmboden betreffen, gehe ich früh ins Bett.
Megavalanche 2021 – das Rennen mit dem E-Bike
Um 9:10 Uhr dann heißt es „Aaalaaarmaaaa!!!“ für uns. Aber bis es so weit ist, müssen wir erstmal hoch auf den Gletscher bugsiert werden. Dank Gondel gelingt dies gut und relativ problemlos. Um 7:00 Uhr ist der Timeslot für alle E-Biker und ein E-Bikerin. Oben angekommen, bin ich happy um die zusätzliche Jacke, die ich angezogen habe, denn hier oben zieht es ganz ordentlich. Aus den Boxen dröhnt Musik, die Masse ist motiviert, wir tanzen uns warm, einige wirken aufgeregt. Ich starte aus Reihe A, weil die Quali ziemlich gut lief.
Vor uns der Renndirektor George Edwards, der mit Tafeln anzeigt, wie viel Zeit es noch bis zum Start ist. Ca. 30 Sekunden vor Vollgas hallt es aus den Boxen: „AAALAAARMAAAA! LA BOOMBAA! AAALAAARMAAAA! …“ und zack ist das Band oben und alle stürzen sich den Gletscher runter. Die Oberfläche ist hart und gut zu fahren, dennoch erwische ich eine weichere Spur und rutsche schon nach ca. 30 Metern weg und auf dem Hintern den steilen Hang hinunter. Das Flachstück kann ich fahrend bewältigen, denn hier rollt es tatsächlich ganz gut. Dann folgt Steilstück Nummer 2. Ich nehme mir an dem Franzosen neben mir ein Beispiel, setze mich – genau wie er – in den Schnee und rutsche in Lausbuben-Manier auf dem Hosenboden den Hang hinunter. Jetzt ist meine Hose endgültig nass. Egal! – denke ich, es kommen noch genug andere nasse Sektionen auf den nächsten gut 20 Kilometern.
Nach dem Gletscher geht es in ein großes Feld scharfkantigen Gerölls. Solch hochalpines Gelände kenne ich eher vom Wandern, aber weniger vom Biken. Hier kann man seine Reifen schnell mal aufschlitzen, was ein definitives Aus bedeuten würde. Genau darum gehe ich auf Nummer sicher und wähle saubere Linien und reduziere das Gas. Nach dem verkorksten Start denke ich permanent: Du Idiot! Jetzt zählt nur noch der olympische Gedanke „dabei sein ist alles“ und bring die Fuhre ja heil ins Ziel!
Nach einigen schmalen Trails kommt ein Uphill auf einer breiten Schotterpiste, welche von Zuschauer*innen gesäumt ist. Alle klatschen und rufen: „Allez! Allez! Aaalleeez!!!“
Danach geht es in die große Unbekannte: Lehmrutschen. Wie wird der Lehmboden nach dem nächtlichen Regen sein? Werde ich Grip finden? Ich habe keine Ahnung … Nach einigen Metern hänge ich voll in der Sektion und mache es wie Eliot es mir geraten hat: Den Fuß auf der Kurveninnenseite auf den Boden und das E-Bike um die Kurve driften. Im Renntempo funktioniert erstaunlich gut! Beinah die komplette Sektion fahre ich ausgeklickt und immer einen Fuß am Boden gen Tal.
Als die steilen Kurven zu Ende sind, macht sich Freude in mir breit, denn jetzt kommt nur noch der dunkle Wald. Hier ist es eng, steil und so manche Ecke ist von rutschigen Wurzeln durchzogen. Dennoch fühle ich mich wohl und komme gut voran.
Ganz kurz vor Allemond erwischt es mich aber noch einmal. Die Einfahrt in eine Wasserrinne befahre ich zu schnell, rutsche weg und krache auf den Stein. Kurzer Check. Hose zerrissen, Rest passt, weiter geht’s! Jetzt noch über den Fluss, eine schmale Holztreppe runter und Sprint bis durch den Zielbogen. Geschafft! Ich habe die Megavalanche 2021 gefahren. Mega!
Kurz nach der Zieleinfahrt sagt Eliot: „Rico!!! Du bist Dritter bei den Masters!!!“ Ich schaue ungläubig, denn die komplette Fahrt hatte ich durch den frühen Sturz fest geglaubt, dass ich die rote Laterne holen werde. Umso glücklicher bin ich, als ich das Timing im Internet anschaue und da tatsächlich steht, dass ich Platz 3 bei den Masters geholt habe.
Als ich auf dem Podium stehe, grinst der Moderator und ruft ins Mikrofon:
Rico, unser Teilnehmer mit dem schönsten Bart und den coolsten Tattoos, holt den dritten Platz. Gratulation!
5 Tipps für die Megavalanche mit E-Bike
- Früh anmelden, denn so sicherst du dir einen Platz in der ersten Reihe bei der Quali.
- Quali mit Vollgas, denn hier gewinnst du für den Start auf dem Gletscher am Sonntag.
- Richtige Reifenwahl Massive Reifen mit grobem Profil und Downhill-Karkasse sind die erste Wahl. Natürlich tubeless aufgebaut. Auch Reifen-Inserts, wie beispielsweise Cushcore, sind sehr zu empfehlen.
- Ein kleiner Akku reicht. Bei einem derartigen Rennen ist ein leichtes E-MTB von Vorteil, deshalb – wenn man wählen kann – wenig Akku und wenig Gewicht.
- Immer locker bleiben Die Mega wird nicht hauptsächlich auf dem Gletscher entschieden, aber hier kann man sie verlieren. Also easy runtercruisen, denn erst im Ziel ist ein Rennen vorbei.
Fazit zur E-Mega/Megavalanche 2021
Wer bei einem Enduro-Rennen auf echtes Abenteuer und Endurance steht, der wird bei der Megavalanche in Aple d'Huez, der Mutter aller Enduro-Rennen, fündig! Flats oder Klicks? Ähm – beides okay! Racer*innen wählen Klicks, der Rest Flats, denn bei der Mega gibt es enorm viele Passagen, auf denen man abwechselnd die Füße vom Pedal nehmen muss.
Ob ich es wieder tun würden? Ja, bei sonnigem, trockenem Wetter, richtig kalten Nächten und mit passenden Reifen ...
So Leute, jetzt mal Hand aufs Herz: Wer von euch hätte Bock auch mal bei der E-Mega an den Start zu gehen?
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62 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumWarum ist der schnellste Fahrer auf einem E MTB mit 42:19 über eine Minute langsamer als der schnellste Fahrer auf einem konventionellen MTB mit 41:03?
Ich vermute ganz vorsichtig, weil er nicht so schnell war.
Quelle:
https://www.alpenverein.de/natur/na...ountainbike-und-e-mountainbike_aid_34839.html
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