Fahrradfahren ist gesund, spart Ressourcen und schont das Klima – aber was ist mit der Herstellung von Rädern, Bekleidung und Zubehör? Wir haben uns auf der Eurobike 2023 einmal für euch schlau gemacht, wie es denn nun um die Sache mit der Nachhaltigkeit wirklich steht.
Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die Fahrradindustrie
Seien wir mal ehrlich: Bis das erste Mal jemand drauf sitzt, macht so ein Fahrrad eine Menge Dreck! Auch Komponenten, Zubehör, Bekleidung und alles, was Mensch sonst noch zum Radfahren braucht, addieren sich zu einem unheilvoll großen Impact unseres Lieblingshobbys (oder Lieblingsverkehrsmittels, liebe Pendler:innen!) auf unseren Heimatplaneten – und dass dies nicht ewig so weitergehen kann, hat sich wohl allmählich herumgesprochen.
Wirklich neu am Thema Fahrradindustrie, Ressourcen und Klimafolgen ist eigentlich nur, dass es 2023 nicht mehr beinahe vollständig totgeschwiegen wird: Neben Firmen wie Patagonia oder Vaude, die sich schon seit jeher offen ihrer Verantwortung für Klimaschutz stellten und sich für verantwortlichen Umgang mit Ressourcen einsetzen, beobachten wir in jüngerer Vergangenheit vor allem zwei Trends: Firmen, die, wie etwa Liny Bikes, ReTyre oder MyBoo Nachhaltigkeit zum zentralen Aspekt ihres Geschäftsmodells erklärt haben, und alteingesessene, teils große Player wie Schwalbe, Ergon oder Fahrrad-Hersteller Moustache aus Frankreich, die für uns sichtbar begonnen haben, Produkte anders zu denken – sich um Lieferketten, CO₂-Footprints und Lebenszyklen ihrer Produkte und den darin gebundenen Rohstoffen Gedanken zu machen.
So bietet die Eurobike 2023 erstmals einen hinreichenden Anlass für einen kleinen Überblick über eine Entwicklung, die hoffentlich größere Veränderungen oder gar eine Zeitenwende anstoßen wird – jenseits von Greenwashing und Lippenbekenntnissen: Nachhaltigkeit in der Fahrradindustrie – ein Streifzug über die Messe.
Ergon GRX Circular – Lenkergriffe aus Produktionsabfällen
Der Ergon GRX Circular teilt sich die Performance, den Preis und alle Eckdaten mit dem gewöhnliche GRX-Griff, ist aber komplett aus Produktionsabfällen des GRX gefertigt. Diesen nachhaltigeren Griff gibt es ausschließlich in Schwarz und mit 32 mm Durchmesser für 19,95 € zu kaufen.
Ergon SR Allroad Core Circular – die Infos
Mit fortschreitendem Klimawandel wird es unumgänglich, Kunststoffe aus Erdöl nicht nach einmaliger Verwendung wegzuwerfen oder zu verbrennen. Langfristig kann nur Kreislaufwirtschaft mit mehrmaliger Verwendung wertvoller Ressourcen und Rohstoffe eine Lösung bieten. Ergon hat mit dem SR Allroad Core Circular nun einen Fahrradsattel für Gravelbikes entwickelt, der zu 100 % aus recyclingfähigen Materialien besteht. Er ist eine erste umweltfreundliche Fallstudie im Rahmen des „GreenLab Circular“-Programms des Unternehmens aus Koblenz.
- recyclingfähiger Allroad-Sattel
- BASF Infinergy
- ohne Farbpigmente und Beschichtung
- Preis keine Angabe
- Verfügbarkeit keine Angabe
- Infos www.ergonbike.com
Der nachhaltige Fahrradsattel besteht aus BASF-Infinergy, einem Material, das in der Kreislaufwirtschaft als Zukunftskunststoff gilt: Sämtliche Plastikteile des Sattels gehören zu einer Gruppe von BASF-Polyurethanen und können daher wiederverwendet werden. Das innovative Design beinhaltet einen ergonomischen Kern, der ebenfalls aus BASF-Infinergy gefertigt wird. Außerdem verfügt der SR Allroad Core Circular über einen Titanoxid-Stahlrahmen, der von Hand entfernt werden kann. Farbpigmente und die Beschichtung der Oberfläche wurden weggelassen, um ein nachhaltiges und qualitativ hochwertiges Recyclat ohne Verfälschung zu erreichen.
Schwalbe Green Marathon
Vor einiger Zeit hatten wir bereits über das Schwalbe-Recycling-System berichtet. Jetzt trägt die Initiative des deutschen Reifen-Spezialisten erste Früchte. Mit dem Schwalbe Green Marathon präsentiert der Schwalbe den ersten aus diesem Projekt entsprungenen Reifen. Der Schwalbe Green Marathon besteht zu 70 % aus recycelten und nachwachsenden Materialien und wird mit 100 % fair gehandeltem Naturkautschuk hergestellt. Alle Infos dazu findet ihr in unserem Schwalbe Green Marathon Artikel.
ReTyre – Reifen ohne Gummi
Das Unternehmen reTyre, das seinen Sitz in Norwegen hat, widmet sich der Forschung und Entwicklung von umweltfreundlichen Reifen, die ganz ohne den Einsatz des problematischen Rohstoffs Gummi hergestellt werden. Das Ziel ist es, eine geschlossene Kreislaufwirtschaft zu schaffen, in der diese Reifen vollständig wiederverwendbar sind. Die fortschrittliche Produktionstechnologie der neuen Reifen soll eine lokale Herstellung ermöglichen, wodurch, etwa durch die Verkürzung von Lieferketten, eine erhebliche Reduzierung von CO₂-Emissionen erreicht werden kann.
Die Verwendung von thermoplastischen Polymeren ermöglicht es ReTyre, kleine, vollautomatisierte Produktionsanlagen lokal einzusetzen, um Reifen herzustellen. Dadurch könnten lange Transportwege von großen Reifenfabriken der Vergangenheit angehören. Ferner sollen die verwendeten Materialien während ihrer Lebensdauer weniger Abrieb in die Umwelt abgeben, langlebiger sein und am Ende der Reifenlebensdauer im Gegensatz zu Gummi aus Kautschuk vollständig recycelt werden können, um daraus neue Produkte herzustellen.
- Einsatz neuer Materialien sorgt für überlegene Leistung, Haltbarkeit und Langlebigkeit
- Produktionstechnologie ermöglicht lokale Fertigung und damit Senkung von CO₂-Emissionen
- biobasierte Elastomere sollen in einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft vollständig wiederverwendbar sein
- www.retyre.eco
CHPO – Coole Brillen für eine bessere Welt
Die coolen Farben und Styles der Brillen am Eurobike-Stand von CHPO haben uns gleich aufmerken lassen. Als wir dann noch hörten, dass sie allesamt je nur 40 Euro kosten, zu 100 % aus recyceltem Kunststoff bestehen und der Gewinn aus ihrem Verkauf vollständig gespendet wird, waren wir ihnen vollkommen verfallen.
CHPO ist eine Uhren- und Brillenmarke, die im Jahr 2013 in Schweden gegründet wurde. Ihre Produkte lassen sich von Skateboarding, Musik und Kunst inspirieren und so hat CHPO wirklich für jedes Gesicht die richtige Brille in petto. Die Produkte von CHPO sollen erschwinglich sein und sind aus recycelten Materialien hergestellt, sodass ein kontinuierlicher Beitrag zur Ressourcenschonung geleistet wird. Unter dem Motto „Made for Everywhere“ arbeitet die schwedische Brand jede Saison mit verschiedenen gemeinnützigen oder wohltätigen Organisationen zusammen und spendet 100 % der Gewinne für ihre Zwecke, um einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu haben.
- Günstige Brillen in verschiedenen Styles und Farben
- Aus 100 % recyceltem Kunststoff
- Ihren Gewinn spenden CHPO zu 100 % für gemeinnützige Zwecke
- Verfügbar ab sofort
- Preise ab 35 bis 40 €
- www.chpobrand.com
Moustache J. – Made in France
Die französische E-Bike-Marke Moustache präsentiert mit dem Moustache J. eine Weltneuheit: Ihr neuestes Modell, ein urbanes, vielseitiges E-Bike, wird zu 100 Prozent in Frankreich hergestellt, wobei das Aluminium für den Rahmen aus Frankreich und Italien stammt. Nicht nur der Rahmen, sondern auch andere bedeutende Komponenten des Moustache J. werden in Europa gefertigt, wodurch insgesamt 75 Prozent des gesamten Fahrrads aus europäischer Produktion stammen. Mehr Nachhaltigkeit bei einem E-Bike schafft aktuell wohl niemand. Moustache setzt zudem auf umweltfreundliche Herstellung und hat die Lackierung auf eine lösungsmittelfreie Pulverbeschichtung umgestellt. Diese innovative Methode schont nicht nur die Umwelt, sondern soll auch eine gesündere Arbeitsumgebung für die Mitarbeiter:innen gewährleisten.
- Vollgefedertes Urban E-Bike mit tiefem Einstieg und modernem Rahmendesign; Eurobike Award 2023 Gewinner
- Gegossener Alu-Rahmen in Frankreich hergestellt
- Aluminium kommt aus Frankreich und Italien
- Lackierung mittels lösungsmittelfreier Pulverbeschichtung
- Modellvarianten J. on (100 mm Federweg) und J. all (120 mm Federweg)
- Motor Bosch Performance Smart System
- Akku 5oo Wh / 625 Wh
- Verfügbarkeitsdaten k.A.
- Preis k.A.
- Mehr Info www.moustachebikes.com
Ein weiterer Meilenstein für Moustache und die gesamte Industrie ist die Einführung des gegossenen Alu-Rahmens. Diese wegweisende Technologie ermöglicht höchste Qualitätsstandards und gleichzeitig eine optimierte Ressourcennutzung. Mit ihren innovativen Ansätzen setzt Moustache neue Maßstäbe für Herkunft, Nachhaltigkeit und Qualität in der E-Bike-Branche und inspiriert zu einer grüneren Zukunft auf zwei Rädern – Bravo!
Diavelo – Cargo Bikes aus Blech
Diavelo kennt man in der Schweiz nicht nur für ihr eigenes S-Pedelec, das Diavelo Speedbike, sondern auch als Händler hochwertiger E-Bikes. Zur Eurobike haben die Züricher aber ein ganz anderes, neues Projekt mitgenommen: Longtail-Lastenräder aus Aluminium-Blech, deren Rahmen nicht geschweißt, sondern lediglich verschraubt sind. Die beiden Modelle „James“ und „Jamie“ wurden im Crowd-Engineering entwickelt und sollen den Bedürfnissen der urbanen Zielgruppe gerecht werden. So ganz fertig ist Diavelo mit dem Mini-Cargo Jamie und dem ausgewachsenen Longtail-Lastenrad James leider noch nicht: Die spannend aussehenden E-Bikes sind gegenwärtig noch eine Konzeptstudie und freuen sich auf eine hoffentlich baldige Serienproduktion.
- Longtail Lastenräder aus geschraubtem Aluminium-Blech
- Made in Europe
- geeignet für alle E-Bike-Antriebssysteme
- Infos www.diavelo.swiss
Nachhaltiges Standdesign bei Muli und Omnium
Die Messe habe im Vorfeld die Aussteller zu einem nachhaltigen Standdesign ermutigen wollen und angeboten, auf Wunsch auch keinen Teppich auszurollen, erzählt uns Felix Schön, Marketing Manager bei Muli Cycles. Demnach sind uns zwei Firmen aufgefallen, die diesem Angebot gefolgt sind: Muli und Omnium. Sehr zum Benefit des Looks der beiden Stände, wie wir finden. Sowohl bei Omnium als auch bei Muli waren die restlichen Materialien, wie Displays und Podeste ebenfalls sehr reduziert gestaltet und Muli präsentierte als i-Tüpfelchen noch ihr komplett neues Modell Motor eu, welches komplett aus Europa gesourced wird und dessen Rahmen aus recyceltem Stahl ebenfalls in europäischer Produktion hergestellt wird.
Nachhaltigkeit in der Fahrradindustrie – Fazit
Betrachtet man Veranstaltungen wie die Eurobike unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit, stellt sich Ernüchterung ein:
Es ist ohne Zweifel noch ein langer Weg zu beschreiten, bis die Menschheit aufgehört hat, ihr Ressourcenkonto bis zum Anschlag zu überziehen. Die uns gestellten Aufgaben sind dabei sowohl zahlreich als auch komplex.
Indes schöpfen wir auch Hoffnung, denn das Thema Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit drängt vermehrt in den Fokus des öffentlichen Interesses und die Zahl derer, die sich für diese Themen sensibilisieren, steigt sowohl bei Konsument:innen als auch der Industrie merklich an.
Letztlich sind wir alle aufgerufen, uns unserer Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft zu stellen: Das klimafreundlichste Produkt ist noch immer das, welches möglichst lang genutzt wird und Konsumverhalten gibt uns „Verbraucher:innen“ (!) Macht, unsere Zukunft aktiv mitzugestalten.
Wie stehst du zum Thema Nachhaltigkeit und Fahrräder?
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