Man muss schon hinter dem Mond leben, um bislang noch nichts vom Rotwild R.E375 gehört zu haben. Das Carbon-Enduro bringt gerade einmal 19,5 kg auf die Waage und konnte in unserem ersten Test bereits mehr als begeistern. Basierend auf dem Shimano EP8-Motor ist im innovativen E-MTB ein selbst entwickelter Akku mit 375 Wh Kapazität verbaut. Dazu gesellt sich eine sehr progressive Geometrie, die man so bis dato von Rotwild nicht kannte.
Die Intention hinter dem spannenden Projekt ist klar: Rotwild möchte mit dem R.E375 ein E-Bike anbieten, das sich von der Konkurrenz abhebt und Maßstäbe setzt. Ansprechen soll das Light-E-MTB nicht nur eingefleischte E-Mountainbiker, sondern auch Besitzer von regulären Mountainbikes, die bis dato möglicherweise noch Vorbehalte gegenüber Fahrrädern mit Unterstützung hatten.
Die Zukunft ist jetzt
Dass Light-E-MTBs die Zukunft gehört, steht für uns nicht erst seit unserer Prognose für das Jahr 2021 fest. Zwar werden E-Mountainbikes mit großen Akkus und einer maximalen Reichweite nicht verschwinden und haben auch weiterhin absolut ihre Daseinsberechtigung. Doch wir gehen davon aus, dass in dieser Saison praktisch jeder namhafte Hersteller ein leichtes E-Bike mit geringerer Akku-Kapazität, reduziertem Gewicht und deutlich verbessertem Handling im Programm haben wird.
Dass so ein Bike nicht von heute auf morgen entsteht, sondern das Resultat eines jahrelangen Entwicklungs- und Test-Prozesses ist, leuchtet ein. Das ist bei Rotwild nicht anders. Der Premium-Anbieter aus Dieburg hat seit dem vergangenen Sommer ein solches E-Mountainbike im Programm und war damit einem Großteil der Konkurrenz um mindestens einen Schritt voraus. Specialized war zwar mit dem Levo SL noch einige Monate früher dran, allerdings ist die kalifornische Interpretation eines Light-E-MTBs deutlich trailiger als das Rotwild R.E375, das ganz klar in der Enduro-Kategorie zu Hause ist. Das im Oktober letzten Jahres vorgestellte Orbea Rise verfolgt einen ähnlichen Ansatz und unterbietet das Gewicht des R.E375, bietet aber ähnlich wie das Levo SL weniger Federweg und eine bei weitem nicht so progressive Geometrie. Und natürlich gibt es noch das ein oder andere leichte E-Bike, das auf eine Antriebseinheit von Fazua setzt.
Blickt man in einigen Jahren auf die Anfänge der Light-E-MTBs zurück, wird das Rotwild R.E375 aber mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als einer der wichtigsten Pioniere der (dann vermutlich fest etablierten) Kategorie genannt werden. Die Anfänge dieses Futur II-Gedankengangs liegen nun allerdings schon einige Jahre zurück. Mit dem R.E375 hat Rotwild nämlich nicht einfach nur einen Akku mit halber Kapazität in ein bestehendes E-Bike gesteckt, sondern ein grundlegend neues Konzept entwickelt, das einige innovative Lösungen und eine radikale Geometrie bietet. Wie entsteht so ein Bike?
Von der Vision zum Prototyp
Die Entwicklung des Rotwild R.E375 hat vor knapp 3 Jahren konkret begonnen. Lange davor ist jedoch die Idee entstanden. „Die Idee ist aus den typischen Gesprächen entstanden, wenn man im Wald bergauf unterwegs ist und überlegt: ‚Was könnte denn das Rad, was gerade unter mir ist, eigentlich noch besser machen? Und wie könnte man dieses Konzept in den E-Mountainbike-Bereich übertragen?‘ erklärt Jonathan Zimmermann, der bei Rotwild im digitalen Marketing arbeitet. Nach der langen und glorreichen Mountainbike-Vergangenheit inklusive World Cup-Teams und internationalen Rennerfolgen liegt der Fokus von Rotwild mittlerweile voll und ganz auf E-Bikes. Aber: „Das ganz Progressive hat uns bisher gefehlt.” Das ist nun mit dem R.E375 und dem All Mountain-Pendant R.X375 anders.
Die Idee ist aus den typischen Gesprächen entstanden, wenn man im Wald bergauf unterwegs ist und überlegt: „Was könnte denn das Rad, was gerade unter mir ist, eigentlich noch besser machen? Und wie könnte man dieses Konzept in den E-Mountainbike-Bereich übertragen?“
Eine weitere Person, die maßgeblich in die Entwicklung des Rotwild R.E375 involviert war, ist Johannes Matschos. Wie sein Kollege Jonathan ist auch er Anfang 30 und seit gut 20 Jahren begeistert auf Mountainbikes und E-Mountainbikes unterwegs. Als Produktmanager bildet er die Schnittstelle zwischen den Ingenieuren im Haus und den anderen Abteilungen. Beiden ist jedoch wichtig zu betonen, dass praktisch jede Person im stark wachsenden Rotwild-Team auf die ein oder andere Art und Weise stark involviert in die Entwicklung des neuen Bikes war.
eMTB-News.de: Wie seid ihr zum Mountainbiken gekommen? Könnt ihr euch noch an eure Anfänge erinnern?
Jonathan Zimmermann: Ich hab meine Wurzeln früher im Downhill gehabt. Das ist jetzt ungefähr 20 Jahre her. In meiner Jugend ist das Fahrrad von einem Fortbewegungsmittel, mit dem man zur Schule fährt, zu einem Ding geworden, auf dem ich jeden Nachmittag im Wald verbracht habe – Hauptsache bergab! Irgendwann ist man nicht mehr schnell genug für die Downhill-Rennen, fährt dann Enduro und kauft sich vielleicht noch ein Rennrad. Das ist, glaube ich, so der normale Werdegang.
Johannes Matschos: Was das Fahrradfahren angeht, ist es bei mir ziemlich ähnlich wie bei Jonathan: Ich hab mit dem Downhill angefangen, aber je älter ich geworden bin, desto weiter hat es sich aufgeteilt. Inzwischen bin ich jetzt auch gerne auf Rädern mit weniger Federweg unterwegs – und das genieße ich auch echt. In letzter Zeit hab ich Radreisen für mich entdeckt, bin aber nach wie vor auch gern auf Long Travel-Bikes unterwegs. Von Alkopop bis Rotwein ist sozusagen alles dabei!
eMTB-News.de: Ihr beide wart maßgeblich in die Entwicklung des R.E 375 involviert. Welcher Aspekt war euch dabei besonders wichtig?
Jonathan: Mir war es wichtig, dass es kein 0815-Enduro wird, was beispielsweise hinsichtlich der Geometrie genau im Mittelfeld liegt. Wir wollten nicht einfach ein weiteres Bike im Portfolio haben, um sagen zu können, dass wir die Kategorie Enduro damit bedienen. Da vertrete ich den Standpunkt, dass wir gleich ein Ausrufezeichen dahintersetzen sollten, damit das Rad auffällt. Für den typischen Rotwild-Kunden ist die Geometrie etwas Neues, das kennt man so von Rotwild nicht: flacher Lenkwinkel, steiler Sitzwinkel, viel Federweg in Kombination mit 29″-Laufrädern. Auch unser Marketing ist dahingehend ausgerichtet, dass wir Neukunden im E-Bike-Bereich gewinnen – und vor allem Leute, die vom Mountainbike aufs E-Bike umsteigen, ansprechen.
Johannes: Auch für mich ist die Geometrie eigentlich der wichtigste Punkt. Jonathan hat außerdem viel an kleineren Gimmicks festgehalten. Davon haben es nicht alle ins fertige Produkt geschafft, aus verschiedenen Gründen. Aber so Sachen wie der Flaschenhalter war für Jonathan ein absolutes Must Have und er hat das immer sehr gepusht …
Jonathan: … um nicht zu sagen genervt! (lacht)
Johannes: Das war auch gut so! Ansonsten lag der Fokus neben der Geometrie recht stark auf der Fahrdynamik, damit das Bike wieder mehr Handling bekommt. Damit ist man dann auch schnell bei einem Thema wie dem Gewicht.
Stichwort Gewicht: Dass dies einer der wichtigsten Aspekte des Rotwild R.E375 ist, wird im Gespräch schnell klar. Einfach nur ein möglichst leichtes Bike haben, indem man beispielsweise Reifen verbaut, die an der Waage glänzen, dafür im Gelände aber beim ersten Wurzelkontakt die Segel streichen, war nicht die Absicht von Rotwild. Stattdessen sollte das E-Enduro so leicht wie möglich werden, ohne dass die Haltbarkeit oder Zuverlässigkeit darunter leidet.
Neben der Unterstützung durch den Motor ist das Gewicht der wohl wesentlichste Punkt, der E-Bikes von regulären Mountainbikes unterscheidet. Während ein unmotorisiertes Enduro mit moderner Geometrie und angemessener Ausstattung teilweise unter 14 kg wiegt, liegen langhubige E-Enduros oft deutlich über der 22 kg-Marke. Durch die Unterstützung des Motors fallen die zusätzlichen Kilos bergauf natürlich nicht so sehr ins Gewicht. Auf die Fahrdynamik, das Handling und die Abfahrtsqualitäten wirkt sich das Gewicht jedoch spürbar aus. Den Unterschied zwischen traditionellen E-MTBs und Light-Vertretern bemerkt man in der Praxis sofort.
Der neuste Trend: 3D-Puzzle
Um das Gewicht zu reduzieren, setzt Rotwild wie viele andere Hersteller aus dem Premium-Segment auf den Werkstoff Carbon. Der moderne Kohlefaser-Stoff kombiniert eine hohe Festigkeit mit einem geringen Gewicht – perfekte Voraussetzungen also für ein leichtes und haltbares E-MTB. Doch die Produktion von Carbon-Rahmen hat einen großen Haken: Die Rahmen werden anders als Vertreter aus Aluminium nicht aus Rohren zusammengeschweißt, sondern müssen mattenweise in eine Form gelegt und anschließend unter Druck gebacken werden.
Anders als eine Backform, die man in der heimischen Küche für den Kuchen am Wochenende verwendet, ist solch eine Form, auch Mold genannt, sehr teuer. Eine Carbon-Mold für einen Rahmen kostet schnell einen hohen fünfstelligen Betrag – pro Rahmengröße wohlgemerkt. Produziert man einen Rahmen in Serie, sind diese Kosten einkalkuliert. Will man hingegen in der ersten Projektphase ein erstes Muster oder einen Prototyp bauen, wird es schon deutlich schwieriger.
Hier kommt als Zwischenschritt der additive 3D-Druck ins Spiel. Mit der Sauer Product GmbH, die ebenfalls in Dieburg ansässig ist, kann Rotwild auf die Dienste eines lokalen Unternehmens zurückgreifen. In unmittelbarer Nachbarschaft zu Rotwild können hier einzelne Bauteile bis hin zu kompletten Rahmen innerhalb kürzester Zeit gedruckt werden. Aus einzelnen Puzzleteilen kann so ein kompletter Rahmen zusammengesetzt werden.
Wer nun denkt, dass es sich bei diesem Puzzle für Fortgeschrittene um eine Spielerei zum Zeitvertreib handelt, der liegt falsch. Stattdessen erfüllt der 3D-gedruckte Rahmen einen wichtigen Zweck. So macht es für die Beurteilung der Ästhetik einen gigantischen Unterschied, ob man ein physisches Produkt in den Händen hält – oder eben nur ein 3D-Rendering am Computer-Bildschirm sieht. Auch für simplere Fragen (Ergibt die Kabelführung Sinn? Passt die Trinkflasche gut rein? Erreicht man jede Schraube gut mit dem Werkzeug? Funktioniert die Entnahme des Akkus wie gedacht?) ist das 3D-gedruckte Modell unerlässlich.
eMTB-News.de: Musstet ihr intern eigentlich Überzeugungsarbeit leisten, dass das R.E375 so als Prototyp gefertigt und dann vielleicht sogar in Serie gehen wird?
Johannes: Was das Konzept angeht eigentlich nicht. Bei Details und auch der Geometrie – wir haben da schon eine recht krasse Geometrie mit 63° Lenkwinkel und solchen Sachen – mussten wir hier und da schon ein bisschen kämpfen. Von den Haupt-Entscheidungsträgern wurden uns da aber auch das Vertrauen und die Freiheit gegeben und gesagt: „Wenn du der Meinung bist, dann gehen wir den Weg so!” Wir haben da insgesamt viel Zuspruch bekommen. Hier im Haus funktioniert das sehr gut. „Da bist du der Experte, also gehen wir diese Richtung”.
Jonathan: Das finde ich auch einen ganz wichtigen Punkt. Natürlich bekommst du beispielsweise mal ein paar Fragen vom Engineering gestellt. Am E-Bike kämpfst du mit denselben Problemen, die man auch vom normalen Mountainbike kennt: Du versuchst immer, einen potenten Dämpfer mit einem kompakten Rahmendreieck, das aber auch Platz für eine Trinkflasche bietet, zu vereinen. Da muss man dann mal die Frage beantworten, ob man denn wirklich eine Flasche braucht oder es auch ohne geht. Im Lastenheft hatten wir aber genau diese Vorgabe drin, um so ein Konzept zum Fliegen zu bringen. Deshalb mussten wir hier natürlich dran festhalten und eine Lösung für finden.
Die Spinnerei wird digital
Nach der ersten Idee, die wie so oft bei den regelmäßigen Ausfahrten auf den Trails im Wald entstanden ist, läuft ein Großteil der Entwicklung eines neuen Bikes vor allem am Computer ab. Hier kommt die eben bereits angesprochene Engineering-Abteilung von Rotwild ins Spiel. Die Ingenieure haben die Aufgabe, die im Lastenheft festgehaltenen Vorgaben nach Möglichkeit alle umzusetzen. Das klingt eigentlich recht unspektakulär – doch tatsächlich handelt es sich dabei um eine riesige Aufgabe:
Möglichst leicht soll das neue E-Bike sein, aber bitteschön auch haltbar. Die Geometrie? Progressiv bitte – wenn’s geht mit kompaktem Heck und ultrasteilem Sitzwinkel, damit man bergauf eine gute Sitzposition hat. Eine Flasche sollte schon ins vordere Rahmendreieck passen. Der Akku? Sauber integriert, trotzdem schnell entnehmbar. Klappern soll bitte gar nix – weder die Kabel, die sauber durch den Rahmen geführt werden, noch die Kette am Hinterbau. Auch optisch soll der Rahmen wie aus einem Guss wirken. Ach, und die Fahrqualität auf dem Trail: Die ist ja eigentlich entscheidend, also bitte so gut es geht! Alles klar? Alles klar.
Hierbei handelt es sich um zahlreiche verschiedene Zielkonflikte: Anforderung A (geringes Gewicht) und Anforderung B (hohe Haltbarkeit) sind beide wichtige Aspekte bei einem E-Mountainbike, stehen gleichzeitig aber auch in einem Gegensatz zueinander. Möglichst viele dieser Zielkonflikte möglichst gut zu lösen, ist die Aufgabe der Ingenieure von Rotwild.
Das junge Team verbringt einen Großteil der Arbeitszeit am Computer und legt in diversen futuristisch anmutenden 3D-Programmen den Grundstein für Rahmen, die gut funktionieren. Die Aufgaben sind klar verteilt. Steffen, der seit Jahren viel Zeit auf dem Mountainbike verbringt, ist der Experte für die Kinematik, also die Funktion des Hinterbaus. Beim R.E375 haben ihn besondere Anforderungen erwartet, die am Computer iterativ, also in einem schrittweisen Verfahren, getestet werden, bis man die möglichst perfekte Lösung gefunden hat.
Beim R.E375 für die Konstruktion des Hecks zuständig war Katja. Die Randbedingungen und der Bauraum sind dabei durch den Hinterreifen und den Bereich, der durch die Kette eingenommen wird, vorgegeben. Der Rahmenbauer in Asien macht bestimmte Vorgaben hinsichtlich der Wandstärken. Die Kabel von Schaltung, Bremse und Speed-Sensor müssen sauber, optisch ansprechend und klapperfrei durch das Heck geführt werden. Und dazu gibt es noch bestimmte Vorgaben hinsichtlich Design und Ästhetik. Aus einer Aufgabe, die zunächst recht trivial erscheint, wird so ein Projekt, das mehrere Wochen hinterm Bildschirm in Anspruch nimmt.
Die Schnittstelle zwischen den Ingenieuren in Dieburg und der Rahmenfertigung in Asien bildet Christoph, der bereits maßgeblich in die Entwicklung der R.E750-Baureihe involviert war und das gewonnene Wissen auf das 375 transferieren konnte. Seine Aufgabe ist es, die Designs technisch umzusetzen. Die Ingenieurs-Tätigkeit besteht für ihn nicht nur darin, Dinge zu zeichnen und zu konstruieren. Für ihn steht das Vermitteln im Vordergrund: Die Personen, die die Rahmen in Asien handfertigen, sind nicht unbedingt passionierte Mountainbiker. Deshalb stellt es ihm zufolge eine besondere Anforderung dar, die für Rotwild besonders wichtigen Aspekte so zu vermitteln, dass die Rahmen auch entsprechend produziert werden.
In Nicht-Corona-Zeiten verbringt Christoph mehrmals im Jahr einige Wochen in Asien – spätestens dann, wenn mal wieder ein 3D-Modell eines neuen Rahmens fertig ist. Dazu wird viel über Skype und andere Programme kommuniziert. Er bestätigt das, was Jonathan und Johannes bereits gesagt haben: Nahezu jedes Projekt fängt zunächst als Spinnerei an und nimmt dann immer konkretere Formen an.
eMTB-News.de: Wer ist der optimale Fahrer, den ihr mit eurem R.E375 ansprechen wollt? Für wen ist das Bike perfekt geeignet?
Jonathan: Grundsätzlich erstmal: Alle, die Bock auf ein progressives E-Enduro haben, die sich von solch einer Geometrie auch angesprochen fühlen. Wir gehen davon aus, dass wir mit dem Rad Leute ansprechen, die wissen, wie man eine Geometrie-Tabelle liest. Hinsichtlich Geometrien ist die Entwicklung im E-MTB-Bereich etwas hinterher zu dem, was man aus dem Mountainbike-Sektor kennt. Ich würde bei dem Rad aber nicht nur auf der Geometrie – auch wenn diese ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal ist – rumreiten, sondern auf das Gesamtkonzept mit der kleineren Batterie und dem Motor eingehen. Dann wird die Sache nämlich rund.
Wir sind oft zusammen im Taunus mit unserer Mountainbike-Gruppe unterwegs. Da hörst du immer Stimmen von wegen „E-Bikes sind grundsätzlich schon cool. Aber solange ich noch kann, möchte ich Mountainbike fahren.” Oder: „Ich möchte mich nicht nur den Berg hochtragen lassen. Ich möchte auch selbst was hinzugeben.” Wenn du mit solch einem Konzept an so ein Rad herangehst, dann merkst du, dass man keine riesige Batterie braucht. Dann kannst du Gewicht aus dem System rausnehmen – und dafür sehr viel Agilität gewinnen.
eMTB-News.de: Wie wichtig ist eurer Meinung nach das Gewicht beim E-Bike? Man könnte meinen, dass es eigentlich keine Rolle spielt – schließlich hat man ja die Unterstützung durch den Motor …
Johannes: Ich finde es zunehmend wichtiger. Ich bin auf vielen verschiedenen Bikes unterwegs und bemerke auch dadurch den Unterschied immer stärker. Das Gewicht wirkt sich zum Beispiel auch auf die Kinematik aus. Man merkt bei einem schweren Rad außerdem die Behäbigkeit, wenn es über die 20 kg hinausgeht. Und dann muss man Trails auch anders fahren, als man das mit dem Mountainbike macht.
Jonathan: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn du vom Mountainbike aufs E-Mountainbike wechselst: Du musst die Trails anders fahren. Du musst die Bremspunkte anders setzen. Du kommst unter Umständen auch mit einer ganz anderen Geschwindigkeit aus einer Kurve heraus, weil du reintrittst und der Motor liefert dir Power satt. Oder du kommst Uphill-Passagen auf einem Trail ganz anders hinauf. Am Ende bist du mit vermeintlich mehr Power auch öfter auf der Bremse und machst mehr verkehrt. Deshalb grundsätzlich: Je näher sich das E-Bike-Gewicht dem von Mountainbikes angleicht, sehe ich das definitiv als Vorteil.
eMTB-News.de: Wieso habt ihr euch ausgerechnet für einen Akku mit 375 Wh Kapazität entschieden?
Jonathan: Generell: Die 750er-Räder haben wir weiterhin im Portfolio und es gibt nach wie vor sehr viele Leute, die das total gerne fahren und in ihrem Gelände auch mit viel Spaß voll ausnutzen können. Aber wenn wir mit den Bikes beispielsweise hier im Mittelgebirge gefahren sind, sind wir immer mit ungenutzter Batterie zurückgekommen. Im Prinzip ist das ungenutztes Gewicht. Wenn du von einer Tour zurückkommst und die Batterie ist noch halb voll, dann hättest du sie eigentlich auch nur zur Hälfte aufladen müssen – aber das Gewicht ändert sich ja nicht. Deshalb haben wir uns beim 375er dazu entschieden, die halbe Größe zu verwenden und ein Konzept zu erschaffen, bei dem wir auch das Gewicht drastisch reduzieren können.
Johannes: Auch entwicklungstechnisch ergibt das so Sinn. Es gibt verschiedene Arten, wie man Batterien zusammenschalten kann – parallel oder seriell beispielsweise. Außerdem gibt es verschiedene Zellentypen, Verschaltungen und so. Da muss man schon teilweise in bestimmten Paketen denken. Aus Sicht der Entwicklung war das dann ein recht einfacher Schritt, das so umzusetzen.
Johannes: Während des ersten Lockdowns hatte ich den ersten Prototyp mit Motor relativ lang bei mir und war darauf oft unterwegs. Ich bin dabei eigentlich immer in unter 2 Stunden rund 30 km und 1.000 Höhenmeter gefahren, was für mich gut gepasst hat. Das war für mich immer so meine erweiterte Feierabend-Runde, die ich damit gut abdecken konnte. Gefahren bin ich dabei im Trail- oder im schnellen Eco-Modus. Es gibt aber verschiedene Profile, also würde man in einem Modus mit geringerer Unterstützung auch noch weiter kommen.
Jonathan: Man kann das R.E375 auch mit geringer Minimal-Unterstützung fahren, was ich sehr cool finde. Da muss man dann viel Eigenleistung reinstecken. Was aber auch für mich interessant ist: Wenn du nach Feierabend noch schnell deine Runde mit 30 km fahren willst. Normalerweise sind wir am Wochenende für die 30 Kilometer-Runde drei bis vier Stunden unterwegs. Mit dem 375 geht das in unter zwei Stunden. Deshalb ist das nicht nur eine Reichweiten-Thematik, sondern es geht auch um die Zeitersparnis.
Mit einem Klick ist der Akku raus
Der Batterie des Rotwild R.E375 kommt eine besondere Rolle zu. Mit einer Kapazität von 375 Wattstunden fällt der Akku des E-Enduros deutlich kompakter und leichter aus, als man dies von den 750 Wh-Modellen der Dieburger kennt. Er soll schön ins Unterrohr integriert sein, sich gut entnehmen und wieder einsetzen lassen – und das wie bereits beschrieben bei einem möglichst geringen Rahmengewicht.
Der Querschnitt des Akkus ist definiert durch die Zellen, die im Akku verwendet werden. Das Ziel ist natürlich, einen kleinstmöglichen Querschnitt zu realisieren und anschließend das Unterrohr um diesen Akku herum zu konstruieren. Gleichzeitig müssen Aspekte wie die interne Kabelverlegung berücksichtigt werden. Und natürlich soll sich der Akku eines modernen E-Mountainbikes zum Aufladen entnehmen lassen. Ein wichtiger Punkt im Lastenheft war, dass man die sogenannte Integrated Power Unit 375 werkzeugfrei mit einem simplen Knopfdruck in der Hand hält.
Um hierfür eine optimale Lösung zu finden, hat Christoph den heimischen 3D-Drucker angeschmissen. Klar: Wenn man sich tagein tagaus mit der Konstruktion von Rahmen im Allgemeinen und von Unterrohren im Speziellen beschäftigt, hat man einige kreative Lösungen in der Schublade. Deshalb hat Christoph sowohl für die Integration des Akkus als auch für die Entnahme der Power Unit einige Teile konstruiert und kurzerhand im 3D-Drucker hergestellt.
Aus dem Drucker herausgekommen ist unter anderem ein Polyurethan-Bauteil, das mit einem ebenfalls 3D-gedruckten Käfig der bereits erwähnten Sauer Product GmbH kombiniert wurde. Das fertige Teil, das im R.E375 zum Einsatz kommt, ist nicht mehr gedruckt, sondern besteht aus faserverstärktem Kunststoff – für eine Serienproduktion eignen sich hier andere Verfahren als der 3D-Druck besser. Beim Stift, der in den Akku reinschiebt, hat sich Rotwild für Messing als Material der Wahl entschieden. Der Grund: Bei Messing handelt es sich um ein selbstschmierendes Material. So wird sich der Schnellverschluss-Mechanismus auch im Laufe der Zeit nicht zusetzen und immer eine tadellose Funktion bieten.
eMTB-News.de: Ihr habt eben bereits angesprochen, dass die Geometrie eures R.E375 in eine recht extreme Richtung geht und sehr progressiv ist. Wie unterscheidet sich das Bike von einem klassischen E-Enduro?
Jonathan: Ich beziehe mich zum Vergleich jetzt einfach mal auf unser E-Enduro mit der 750er-Batterie, das wir ebenfalls im Portfolio haben. Wir haben einen 63,5° flachen Lenkwinkel. Im Vergleich: Unser 750 liegt bei 65,5° – also ein deutlicher Unterschied. Dadurch wachsen auch Werte wie der Radstand an. Wir haben 160 mm Federweg am Heck zusammen mit 29″-Laufrädern. Bei den 750er-Modellen haben wir vorne 29″ und hinten 27,5″; wir nennen das Tailored Wheel Size. Hier setzen wir vorne und hinten auf 29″.
Jonathan: Beim Sitzwinkel liegen wir bei 77° – bei den anderen Bikes liegen wir da im Bereich von 74 bis 75°. Also auch hier wieder eine deutliche Steigerung. Und das merkt man auch, wenn man auf dem Rad sitzt. Du sitzt extrem aufrecht und kannst auch ohne oder mit sehr geringer Unterstützung den Berg hinauffahren. Wenn man sich auf ein typisches E-Bike von anderen Herstellern setzt, hat man oft das Problem, dass sich das nicht besonders gut tritt, wenn der Motor ausgeschaltet ist oder man den Support reduzieren muss, weil der Akku fast leer ist. Das ist hier nicht der Fall – man hat hier eher das typische Bergauf-Gefühl der modernen Enduros ohne Motor. Die Kettenstreben sind 445 mm kurz. Der Reach-Wert in Größe M liegt bei 460 mm, 485 mm bei L und 510 mm bei XL.
Johannes: Wir sind also im Vergleich zu früher quasi eine komplette Nummer größer gegangen.
Jonathan: Ich sage aber auch ganz offen: Für bestimmte Leute, die sich im Rotwild-Line-up umschauen, sind die 750er-Bikes mit der gemäßigteren Geometrie möglicherweise die bessere Wahl. Es gibt Leute, die sich auf unser 375 setzen und mit dem Lenkwinkel vielleicht nicht um die erste Kurve kommen, weil sie sowas nicht kennen.
eMTB-News.de: Die Werte, die ihr schildert, erinnern eher an moderne, progressive Mountainbikes. Im E-Bike-Bereich gibt es solche Ansätze bislang kaum bis gar nicht. Bis dato war die Prämisse, dass der Sitzwinkel relativ egal ist und man ein vergleichsweise langes Heck braucht, damit die Kraft des Motors gut übertragen werden kann. Ist das nun nicht mehr der Fall?
Johannes: Ein Stück weit ist das auch so. Wenn man sich zum Beispiel Hill Climb-Mopeds anschaut – die haben gefühlt eine 2 Meter lange Kettenstrebe. Aber wir haben immer versucht, das Heck relativ kurz zu halten. Wichtig ist außerdem die Balance des Rades. Beim E-Bike kommt noch die Platz-Problematik dazu, sodass man teilweise bei solchen Längen rauskommt. Bei uns ist das Heck eher kurz. Wobei: In Relation zu einem progressiven Mountainbike sind die 445 mm eigentlich recht normal bis lang. Klar: Mit einem superlangen Heck hast du bestimmt gut Traktion berghoch, aber du kriegst das Rad dann nicht mehr in den Manual gezogen. Durch die Batterie wird so ein Rad so dann auch extrem frontlastig. Das wollten wir nicht.
Probieren geht über Studieren
Machen wir einen deutlichen Sprung in die Zukunft: Das Rad wurde am Computer entwickelt, aus 3D-Teilen zusammengepuzzelt und auch die Tests der ersten Carbon-Prototypen sind zur vollsten Zufriedenheit verlaufen. Entscheidend ist aber der Praxis-Einsatz draußen im Wald. Doch wie testet man, ob das innovative neue E-Enduro möglichst alle positiven Eigenschaften eines progressiven und unmotorisierten Bikes übernommen hat?
An sich ist die Antwort simpel. Doch sie hat einen Haken: Der neue Shimano EP8-Motor war erst deutlich später für Testzwecke verfügbar, als ursprünglich davon auszugehen war. Also ist Rotwild ziemlich pragmatisch an die Sache rangegangen und hat das R.E375 wie ein reguläres Mountainbike ohne Akku-Unterstützung getestet.
Damit der Erlkönig in freier Wildbahn nicht allzu sehr auffällt, wurde ein früher Prototyp aus einer Vorserien-Mold nahezu bis zur Unkenntlichkeit abgeklebt. Außerdem wurde mal wieder der 3D-Drucker angeschmissen: Der komplette Bereich, wo eigentlich Motor und Akku sitzen, wurde durch ein Dummy-Bauteil ersetzt. Dadurch waren das Gesamtgewicht und dessen Verteilung beim unmotorisierten Prototyp nahezu identisch im Vergleich zur finalen Serienversion.
Dieses Bike wurde dann ausgiebig in allen Lebenslagen getestet – ohne Motor, aber mit dem finalen und gewünschten Fahrgefühl, das dem der nun in Serie erhältlichen Variante entspricht. Auch hier war wieder ein Großteil der Rotwild-Belegschaft involviert. Die Reaktionen? Durchweg positiv.
eMTB-News.de: Wird sich der E-Bike-Bereich in den kommenden Jahren generell in die Richtung entwickeln, die ihr mit dem R.E375 vorgegeben habt? Sind alle E-Biker bald nur noch auf Light-E-MTBs mit ultraprogressiver Geometrie unterwegs? Haben wir es hier mit einer Entwicklung ähnlich wie im Mountainbike-Bereich zu tun – nur eben zeitlich versetzt?
Johannes: Nein. Ich denke nicht, dass sich das in genau diese eine Richtung entwickelt. Der ganze E-Bike-Markt wird sich immer breiter auffächern. Wie es aktuell beispielsweise Federwegs-Bereiche gibt, wird es auch Antriebs-Klassen geben, die in verschiedene Richtungen gehen. So wird sich das dann aufteilen. Je näher es zum Mountainbike geht, desto eher wird es auch Nische sein. Die klassischen 500Wh-Bikes mit Bosch-Antrieb werden schon die Mehrheit bilden.
Jonathan: Genauso Nische werden aber die KWh-Bikes sein, wo du extrem viel mit dir rumschleppst. Was die zeitversetzte Entwicklung angeht: Viele Mountainbikes sind einfach schon viel viel länger am Markt. Die haben einen klassischen Headstart. Das ist aber auch nicht schlimm, denn man kann aus dem Mountainbike-Bereich viel lernen und läuft nicht in dieselben Umwege rein. Hier am E-Bike musst du nicht rausfinden, dass 300 mm Federweg keine besonders gute Idee sind. Das ist Wissen, das man verkürzt einsetzen kann.
eMTB-News.de: Zum Abschluss: Wir beurteilt ihr rückblickend betrachtet die Entwicklung eures R.E375?
Jonathan: Das 375 ist ein Rad, was aus der gesamten Belegschaft heraus entstanden ist. Klar, ich hab wegen ein paar Gimmicks genervt. Johannes und ich haben ziemlich auf diese Geometrie gepocht. Aber es gibt hier nicht das eine Alpha-Tier, das das Rad entwickelt hat. Sondern wir haben hier ein großes Team, wo jeder seinen Hirnschmalz reingesteckt hat.
Jonathan: 2020 war natürlich ein verrücktes Jahr; wir konnten nicht einfach mal zum Testen irgendwo eine Woche hinfahren. Da hat sich beispielsweise auch mal unser Auszubildender eine Woche lang nach Feierabend jeden Tag auf das Rad gesetzt und hat stundenlang Kilometer draufgebügelt. Da hat jeder seinen Beitrag geleistet. Und das ist eigentlich ziemlich cool – gerade für so ein außergewöhnliches Rad. Man würde meinen, dass das eher passiert, wenn man ein Standard-All Mountain mit 140 mm hat. Hier haben sich so viele Leute auf dieses sehr progressive Enduro gesetzt – und alle hatten extrem viel Spaß drauf.
Wo geht die Reise in Zukunft also hin? Wird es bald nur noch Light-E-MTBs geben? Wohl eher nicht. Werden Modelle wie das Rotwild R.E375 aber gemeinsam mit einigen anderen extrem progressiven Vertretern die Grenzen des Machbaren im E-Bike-Bereich verschieben und eine Entwicklung lostreten, vor der sich praktisch kein Hersteller verstecken kann? Davon ist auszugehen. Die Zukunft der E-Mountainbikes hat schon jetzt begonnen.
Hier geht’s zum Test des Rotwild R.E375
Rotwild R.E375 im Video
Was haltet ihr von einem Bike wie dem Rotwild R.E375? Habt ihr euch die Entwicklung eines E-Mountainbikes so ungefähr vorgestellt?
159 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumGebe mein neues Re375 L core ab. Abholung Nähe Ulm.
Laufleistung 60km. Eintragung als Erstbesitzer noch möglich.
Preis: Liste minus 5%
Ich hoffe ich darf das hier mal so schreiben.
Später dann im Bikemarkt.
Der Motor hat für meine sportlichen 70kg zuviel Power.
Ich fahre überwiegend (Bio)Bike und vorher mal das Levo SL.
Der Shimano schiebt mich zu sehr den Berg hoch. Und zum dauerhaft niedrig Einstellen ist es daher für mich persönlich das falsche Bike.
Das Bike an sich ist Klasse. Die Geo identisch zu meinem Transition Sentinel V2.
Für mich persönlich einfach zu viel E(Bike).
Bist Du so ein teures Bike nicht probegefahren.
Es hat halt eine gute für mich passende Geo. Und ich kann so ein Bike schon von den Geodaten beurteilen.
Fahre zur Zeit eher wieder ohne Motor.
Ist jetzt nur für mich persönlich zuviel E.
Mega, das Rad 🙂
Hab es erst vor 2 Wochen zum ersten Mal "wahr genommen", da mich "e" bisher nicht interessierte.
Aber das Konzept überzeugt mich zu 100 %. 👍
Ein Core mit leichten Laufrädern ist in M im Zulauf. Freu mich drauf!
So, inzwischen ist es natürlich da, entsprechend persönlicher Vorlieben umgebaut und ordentlich in der Pfalz und im Schwarzwald ausprobiert. Dabei sind das meist ca. 3-stündige, traillastige Runden.
Gefällt mir nach wie vor sehr gut, und ich denke es ist eine prima Ergänzung zu meinem Last.
Und so schaut es aus. Wenig Sonne die Tage um schönere Bilder zu machen.
Nach wie vor fahre mit Abstand das Meiste in Eco und bisher fast alles im Rotwild-Modus. In den höheren Motorisierungen dann meist Stellen wo es primär um "fahrbar oder nicht?" geht. 🙂
Verrückt was mit dem Bums dann alles geht.
Bisher passt mein Nutzungsverhalten super zu dem Akku-Motorkonzept.
"Ich BRAUCHE nicht mehr Akku- und WILL nicht weniger Motor-Leistung"
Allen ein schönes Wochenende!
Geleis
PS: 19 Kilo in M laut den beiden zur Verfügung stehenden Personenwaagen
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