Grünes Licht für die Titelverteidigung. Nathalie Schneitter – amtierende Weltmeisterin E-Bike – kann bei der UCI E-MTB WM in Leogang an den Start gehen.
Dieses Gefühl kennen alle Athleten: Wenn das Saisonziel näher rückt, steigen Form und Nervosität im Gleichtakt. Auch in der verhexten Corona-Saison 2020 ist dies nicht anders. Es fehlt zwar die Rennpraxis, doch die Lust am Wettkampf, die zwischenzeitlichen Selbstzweifel und die hoch gesteckten Ziele bleiben dieselben.
Für Ausdauerathleten ist die Phase kurz vor einem grossen Event mitunter eine der schwierigsten. «Tapering» nennt man sie und seit ich denken kann, stehe ich mit ihr auf Kriegsfuss. Unter «Tapering» versteht man eine Reduktion des Trainingsumfangs, damit sich der Körper von der harten Trainingsbelastung erholen kann. Gemischt mit gezielten Trainingsreizen soll der Körper optimal vorbereitet werden für den bevorstehenden Wettkampf. Die Reduktion des Trainingsumfangs führt bei vielen Athleten zu einer gewissen Orientierungslosigkeit im Alltag und nährt die Selbstzweifel: Mache ich wirklich genug? Bin ich in Form? Zwickt es in der Wade? Habe ich Halsweh? Die Stolperfallen, die einem das eigene Hirn während einer solchen Ruhephase stellt, sind endlos.
Die Erwartungen vor einem WM-Titelkampf sind immens, für mich als Titelverteidigerin sowieso. Ich habe in meiner Karriere zwar schon einige Rennen gewonnen, doch noch nie war ich als Titelverteidigerin mit intakten Podiumschancen an der Startlinie. Trotz den fehlenden Rennen nahm ich die Vorbereitung ernst und räumte dem Ziel «WM-Medaille 2020» höchste Priorität ein. Details wie Powermeter am Rennrad für effiziente Intervalle, Reifentests oder genaustes Auseinandersetzen mit den Funktionen meines Bosch-Motors gehören da selbstverständlich dazu.
Meistens kommt es aber anders als man denkt und in diesem Corona-Jahr ist wohl gar nichts mehr verwunderlich. So war es absolut ausserhalb meiner Vorstellungskraft, dass ich 12 Tage vor meinem WM-Rennen in Quarantäne gesteckt werden könnte. Doch gemäss «Contact Tracing» bin ich mit einem positiven Covid-19 Fall in Berührung gekommen. Das bedeutet in der Schweiz eine 10-tägige Quarantäne. Fassungs- und Hilfslosigkeit gepaart mit endlosem Erstaunen stellte sich als erste Reaktion ein. Wie die Corona-Regeln lauten war mir natürlich bekannt, doch selber davon betroffen zu sein, war dann doch nochmals eine ganz andere Kiste. 10 Tage Quarantäne ist eine denkbar schlechte WM-Vorbereitung und wenn man sich dazu noch bester Gesundheit erfreut, schwierig zu akzeptieren. In solchen Momenten übertönt der eigene Mikrokosmos das Wissen, dass die Regeln im grossen Ganzen Sinn machen.
Nach der ersten Enttäuschung kam die Wut, dann die Akzeptanz und dann der wiedererwachte Kampfwille. Erfahrungen mit Rückschlägen habe ich zur Genüge, Erfahrungen mit verfrühtem Aufgeben aber auch. Als Athlet kann man nicht mehr machen, als tagtäglich sein Bestes zu geben, sich den Hindernissen zu stellen, die einem in den Weg gelegt werden und nie das Ziel aus den Augen zu verlieren. Eine positive Lebenseinstellung hilft dabei natürlich. Und so verbringe ich die eh schon gehasste Tapering-Phase zu Hause, strample meine letzten Intensitäten auf der Rolle, schlafe viel, esse gesund und versuche mein Hirn abzulenken, um den Selbstzweifeln nicht zu viel Raum zu gewähren. Den Sinn der Situation wage ich gar nicht erst zu hinterfragen.
Meine Quarantäne dauert bis am Montag, 5. Oktober 6.00 Uhr. Um zu der Weltmeisterschaft zugelassen zu werden, muss jeder Athlet und jeder Betreuer bei der Akkreditierung einen negativen Coronatest vorweisen, der weniger als 72 Stunden alt ist – gilt natürlich auch für mich! Das negative Testresultat habe ich heute erhalten, die Quarantäne ist vor wenigen Stunden abgelaufen. Die schwierigste Phase der Vorbereitung ist also geschafft, jetzt heisst es Gas geben – ich bin bereit!
3 Kommentare