Der Brite Joe McEwan ist eigentlich Luftfahrtingenieur. Seinen Bürojob fand er aber zu fremdbestimmt. Er wollte lieber mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen – und Bikes bauen. Und so hat er 2016, eher aus Versehen, zu Hause im englischen Bristol eine Boutique-Manufaktur für High-End-Mountainbikes gegründet: Starling Cycles!
Back to the roots: Handgefertigte Bikes aus Stahl – bisher …
Mit seinen ziemlich aufregenden handgefertigten Bikes mit Stahlrahmen macht er immer mal wieder von sich reden und hat so – nicht nur auf der Insel – eine kleine, aber begeisterte Fangemeinde aufgebaut.
Kürzlich hat Joe auf seinem Tech-Blog eine minimalistische Konzeptstudie für ein E-MTB aus Alu- und Kompositmaterialien vorgestellt. Dabei geht er, zusammen mit seinem Ex-Arbeitgeber, dem National Composite Centre in mancherlei Hinsicht neue, spannende Wege:
Üblicherweise bezeichnet „Carbon“ einen sehr steifen, aber bruchgefährdeten Werkstoff aus Kohlefasern in Epoxidharz. Starlings Entwurf nutzt statt des Harzes thermoplastischen Kunststoff und zu Rohren geflochtene Kohlefasern im Laminat, was laut seiner Aussage erhebliche Einsparungen von Energie in der Fertigung und deutlich robustere, langlebigere Teile zur Folge hat.
Ausflug nach Nerdistan gefällig?
Wie bitte? OK, das machen wir noch mal etwas ausführlicher: Im Kompositbau legt man klassischerweise zugstabile Fasern (aus Glas für GFK: viele Boote sind aus so etwas, und die hässlichen, übergroßen Eistüten vor jeder 80er-Jahre-Eisdiele, Kohlefasern für CFK, im Volksmund „Carbon“ genannt, für noch steifere, noch leichtere Formteile im Boots- oder Fahrzeugbau, Weltraumtechnik, Windkraftanlagen – oder eben Mountainbikes) in eine Form und fixiert das Ganze mit flüssigem Harz, welches, einmal chemisch ausgehärtet, dem Ganzen unwiederbringlich seine Form und Festigkeit gibt. Die Fasern sind dafür zuständig, Zugkräfte im Material aufzunehmen und liefern damit die enorme Stabilität und Formtreue des Bauteils.
Wie so etwas in der Praxis aussieht, haben wir uns bei unserem Hausbesuch bei Zipp in Indianapolis mal für Euch angesehen.
Der Nachteil solcher Bauteile ist eine gewisse Anfälligkeit für irreparable strukturelle Schäden bei Überbelastung, z.B. durch grobmotorisch festgezogene Sattelklemmen oder Schläge bei Stürzen etc. Ebenfalls kann das Material am Ende der Lebensdauer des Bauteils nicht sinnvoll wieder verwendet werden – es taugt dann nur noch zum Heizen.
Bei diesem Projekt hat das National Composite Centre sich etwas anderes ausgedacht: Rohre geflochtener Kohlefasern werden bereits im Fertigungsprozess mit Nylon umgeben. Nylon ist thermoplastisch – also weich, wenn heiß – und im Einsatz wesentlich robuster als ausgehärtetes Epoxidharz. Der Werkstoff ist somit mechanisch nahezu unzerstörbar. Er kann außerdem nach dem Ende seines ersten Lebens zumindest begrenzt umgeformt und weiter verwendet werden.
Minimalismus und Speed
Das Design der Fahrzeuge aus dem Hause Starling Cycles ist als schnörkellos-minimalistisch sowie – hinsichtlich ihrer Fahrleistungen – hocheffektiv bekannt.
Unser Ziel ist es, Komplexität zu eliminieren. Unsere Fahrräder sind die Antithese zu marketing-gesteuertem Design und dem Beharren darauf, dass mehr Komplexität gleich mehr Leistung bedeutet. Sie sind so gebaut, dass sie robust und dennoch leicht sind. Sie sind schön anzusehen und brutal schnell. Sie sind schnell aufgebaut, machen Spaß beim Fahren und sind kinderleicht zu warten.
Joe McEwan – Gründer und Mastermind, Starling Cycles
Der Mann
Die Geschichte ist fast zu gut, um wahr zu sein: Ein blendend aussehender Luftfahrtingenieur wirft seinen hoch bezahlten nine-to-five-Bürojob hin, um mehr Zeit für seine rasend niedlichen Kinder zu haben und im heimischen Schuppen unverschämt schöne, kompromisslose, pfeilschnelle Mountainbikes zusammenzuschweißen … hochverehrte Leserschaft, hier kommt Joe McEwan:
Der Motor
Als Antrieb verwendet Starling einen Motor von Freeflow Technologies in einem Casing aus gefrästem Aluminium. Kurioses Detail – genau wie bei Starlings Downhiller Sturn kommt der sogenannte „Jack Drive“ zum Einsatz: Der Chainring für die Kraftübertragung von Pedalen und Motor sitzt links (!) am Bike. Nach einer ersten Kette führt eine Achse quer durch den Pivot-Punkt des Hinterbaus. Dort treibt auf der rechten Seite ein Ritzel einen herkömmlichen Antriebsstrang mit Kettenschaltung an. Das sieht nicht nur fesch aus, es eliminiert auch die Kettenlängung über den Federweg des Rahmenhecks.
Zukunftsmusik
Der Prototyp mit seiner 3D-gedruckten Edelstahl-Dämpferaufnahme und dem unverschämt flachen Lenkwinkel ist leider nicht fahrbar; Ihr werdet also noch einen Moment auf unseren ausführlichen Testbericht warten müssen. Wir bleiben da dran!
Hot or not? Hättet Ihr Spaß an einem britischen Composite-Downhill-Elektro-Chopper?