Kiran Page – Koordinator der WES und Testfahrer bei Lapierre – ereilte in diesem Jahr das Verletzungspech. Bei einem unglücklichen Sturz bracht er sich die Hand und verletzte sich schwer am Ellenbogen. Während er Zwangspause grübelte er über ein neue Trailtour nach, die ihn von Sospel nach Peille führen sollte. Als er wieder aufs E-Bike durfte, schnappte er sich seinen Kumpel Matt Wragg – bekannter Actionfotograf, Biker und Abenteurer – und fuhr mit ihm gemeinsam die neue Tour. Seinen Erlebnisbericht haben wir hier.
Wir sind nicht ganz normal! Fragt man Mountainbiker, vor was sie sich am meisten bei einer Verletzungen fürchten, ist dies bei den häufig nicht der Schmerz, eine anstehende Operation oder die langfristigen Folgen. Nein, mehr als alles andere fürchten wir die Zeit, in der wir nicht auf das E-Bike dürfen. Als ich mir Anfang des Jahres das Handgelenk zerschmetterte, tat der Unfall nicht allzu sehr weh, die Operation verlief komplikationslos, selbst die schlaflosen Nächte, in denen die Narbe verheilte, waren nicht allzu schlimm. Aber die sechs Wochen Zwangspause waren höllisch! Normale Menschen denken wohl eher nicht so.
Kiran Page
10. Januar. Am frühen Nachmittag. Es war ein dummer Sturz – wie immer halt… Ich kann dir nicht sagen, warum ich überhaupt gestürzt bin. Ich habe keinen Fehler gemacht, es war ein einfacher Weg und ich bin noch nicht einmal besonders schnell gefahren. Doch egal, plötzlich ging mein Gesicht über in den Sturzflug in Richtung Boden. Ich konnte rechtzeitig eine Hand ausstrecken, um den Sturz abzubremsen, was zwar das Gesicht schützte, allerdings meinen fünften Mittelhandknochen und den Ellbogen zerstörte. Zwei Operationen, bei denen der Ellbogen verschraubt wurde und bei denen das Mittelhandgelenk durch metallene Stifte wieder fixiert wurde. Sechs Wochen bis zur Heilung, dann noch einmal zwei weitere, sobald die Stifte herausgenommen werden können. Acht lange, frustrierende Wochen…
Was es noch schlimmer machte: Direkt, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kam mein neues E-MTB an. Tja, das war pure Folter und es schien mich zu verspotten: Es stand dort mit seinen unberührten Reifen, schön schimmernd und mir blieb nichts anderes übrig, als mir vorzustellen, wie gut es sich denn fahren lassen muss. Aber anstatt weiter zu jammern, begann ich mit der Planung einer für mich perfekten Tour, um mein neues E-Bike standesgemäß einzuweihen, sobald ich denn durfte. Denn welche bessere Möglichkeit gibt es, mit dem Fahrverbot klar zukommen, als beim Tagträumen in Vorfreude schwelgen zu können?
Eines der besten Dinge für (e)Mountainbiker in meiner Umgebung ist das Zugsystem. Es gleicht einem Faden aus Stahl und Gestein, der sich durch die Berge zieht und die Dörfer mit der Außenwelt verbindet. In einer Zeit, in der die Reichweite von E-Bikes durch die Batteriekapazität noch begrenzt ist, bedeutet das, dass man viel größere Flecken erkunden kann, als es sonst möglich wäre – es gibt sogar Fahrradständer in den Zügen, so dass man einfach für ein paar Euro einsteigen kann. Dieses Schienensystem bedeutet, dass ich die beiden Zentren meines Lebens – Peille und Sospel – einfach verbinden kann.
Peille ist meine Wahlheimat, in der sich meine Familie und mein Unternehmen befinden und Sospel ist der Ort, an dem ich mein neues Leben begann, nachdem ich akzeptiert hatte, dass das Leben eines professionellen Rennfahrers für mich nicht mehr möglich war. Dort habe ich meine Guiding-Qualifikation erworben, ich leite dort immer noch die wöchentliche MTB-Schule für Kinder, also schien es mir passend, meine Fahrt dort zu beginnen – nur eine 20-minütige Zugfahrt von zu Hause entfernt.
Von Sospel aus kann man den legendären Straßenaufstieg zum Col de Braus nehmen, aber wo würde dabei mit einem E-Bike der Spaß bleiben? Ich ziehe es also vor, den Roccas Trail hinaufzufahren. Diese lange, felsige Rutsche von einem Trail wurde schon bei einigen lokalen Endurorennen als Abfahrt verwendet. Der Aufstieg befindet sich also am Rande dessen, was mit einem E-Bike möglich ist – man muss entschlossen sein und präzise fahren, um so zu vermeiden, dass man das E-Bike über lange Strecken schiebt. Dies ist durchaus möglich und für mich ist es ein idealer Test, um meinen Fitnessstand zu testen. Jeder, der denkt, dass E-Bikes was für Faulpelze sind, sollte versuchen, hier hochzufahren. Wenn du die Stufen oben erreichst, schlägt dir das Herz bis in die Ohren, du musst dich dennoch weiter tierisch konzentrieren und fokussieren – sonst ist Schieben angesagt.
Von Roccas aus kommend, muss man ein kurzes Stück Straße nehmen, bevor man den nächsten Trail erreicht. Dies ist eine weitere Stage die bei einem Enduro-Rennen gefahren wurde und eben auch ein toller Uphill. Höher, an den nordwärts gerichteten Hängen des Berges, liegen üppige, laubabwerfende Bäume mit einem Dach aus Blättern hoch oben. Selbst im Sommer bleibt es dort unten relativ kühl, was eine angenehme Abwechslung zur hohen Intensität von Roccas darstellt.
Wenn man von dort aus weiter aufsteigt, kommt man zur Crete de Lavinia, die eine der besten Aussichten der Region bietet. An einem guten Tag kann man weit über Nizza hinausblicken und vielleicht sogar einen Blick bis auf St. Tropez werfen. Wenn man wirklich Glück hat, kann man vielleicht sogar eine Brise vom Meer herüberwehen sehen. Die folgende Abfahrt ist eine wahre Geschwindigkeitsexplosion: 50 km/h in Richtung Baisse du Pape sind keine Seltenheit. Es ist ein perfektes Aufwärmen für das, was kommen wird; eine erste Prüfung für meine Hand, ob auch bei steigender Geschwindigkeit noch alles funktioniert, ob die Reflexe noch da sind und das E-MTB richtig eingestellt ist.
Anschließend ist es nur noch ein kurzer Ritt über eine Forststraße zu den Flanken des Mont Merras – ab hier wird die Abfahrt ernst. Sie hat schon als Etappe auf der Transprovence und vielen lokalen Extrem-XC-Rennen gedient und ist der erste echte Test, ob ich das Rad noch steuern kann, selbst wenn die Schwierigkeiten ansteigen. Der lose Fels hier scheint dich direkt vom (E-)Bike werfen zu wollen. Von Merras aus ist man dann schon fast auf einem meiner Lieblingstrails – dem Yega.
Meine liebste Erinnerung an diesen Weg ist, als wir, nachdem wir ihn freigeschnitten hatten, einen Grill inmitten vom Nirgendwo aufgestellt haben und es uns mit korsischer Rauchwurst und ein paar Flaschen Beaujolais gut gehen lassen haben. Der Rückmarsch nach Hause war… interessant, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Der Trail selbst ist für mich eine Schönheit, mal schmal und technisch, mal flowig, schnell und flüssig. Er bleibt niemals richtig gepflegt, da er so weit von der Zivilisation entfernt ist, aber ich liebe ihn so sehr, dass ich ihm auf einer Runde nie widerstehen kann. Er dient auch als Verbindungsweg – bisher bin ich auf der Sospelseite unterwegs gewesen, aber Yega bringt mich nach Peille und somit zurück nach Hause.
Dank Yega kommt man also zum Col de Banquettes und so direkt nach Gazouil. Dies war einer der ersten Trails, die ich hier wieder freigemacht habe – als wir diesen Weg zum ersten Mal fuhren, musste man noch den Fluss auf Paletten überqueren, die ins Wasser geworfen wurden – kein besonders großer Spaß bei hoher Geschwindigkeit. Wir haben eine Brücke gebaut und seitdem ist der Weg bei einigen Mountainbike- und Trailrunning-Rennen vertreten. Es ist ein schnelles Pfädchen, aber eines, bei dem man stets an seinen Verstand appellieren sollte, denn es gibt ein paar Abschnitte, die es einem heimzahlen, fährt man ohne Hirn.
Von dort aus geht es weiter durch den Peille-Bikepark in Richtung Aufstieg zum Val de Ville. Dies ist ein weiterer Weg, den die meisten Leute als Abfahrt benutzen. Bergauf zum legendären Straßengipfel Col de la Madone ist er allerdings recht schwer zu bewältigen (dort fuhr Lance übrigens früher hin, um zu sehen, ob das „Programm“ gut funktionierte). Wir jedoch verschwenden keine Zeit auf der Straße, überqueren den Asphalt und halten uns in Richtung Gipfel, von wo aus wir den Heimweg antreten.
Direkt unter den Antennen, etwa 1.100 Meter über dem Meer, startet mit dem Trail „Cabanelles“ ein ganz Besonderer. In dieser Höhe herrscht häufig eine Inversionswetterlage und man fühlt sich, als würde man sich ins Unbekannte stürzen. Der Weg fließt förmlich durch mehrere Vegetationszonen, von kargen Felsen über üppige Wälder und Wiesen bis hinunter zum mediterranen Gestrüpp an den unteren Flanken. In diesen Weg habe ich in den letzten Jahren viel Arbeit investiert, zum Lohn konnte er dann als eine der Etappen der ersten Runde der World E-Bike Series im April dieses Jahres gefahren werden.
Ein kurzer Abstecher bringt uns nach Buampin, auf eine ruppige römische Straße, die auch nach mehr als ein paar Ausgaben der französischen Coupe de France Series noch erhalten ist. Normalerweise fahre ich diesen Pfad hinauf, da es mir so mehr Spaß macht. Egal wie neu oder glänzend das Bike auch sein mag, es wird sich hier immer schrecklich anfühlen. Die quadratischen Schläge der Gesteinsbrocken prügeln nur so auf die Räder ein – ein förmliches Ganzkörpertraining!
Schließlich erreichen wir den Chemin de la Viella, oder A8, wie wir es nennen. Seit mindestens zehn Jahren findet man jedes Frühjahr verrückte Locals mit Einkaufstaschen voller Werkzeugen, die den Weg hier freischneiden, Unkraut trimmen und ihn so fahrbar machen. Die Abfahrt ist so schnell, dass einem die Augen tränen. 60 km/h und mehr können erreicht werden, wenn man zu den mutigen (oder rücksichtslosen?) gehört. Doch egal wie schnell man ist, A8 zaubert einem garantiert ein Lächeln ins Gesicht. Gibt es einen besseren Weg, um nach Hause zu kommen?
44,85 km / 1.698 hm
2 Std 27 Min
Knapp 45 km, 1.700 Höhenmeter und fast drei Stunden waren wir unterwegs. Ich bin wund, staubig, müde und grinse von Ohr zu Ohr. Hier haben wir die genaue Trailtour als GPS-File.
Wer von euch war schon im Hinterland von Nizza unterwegs?
Text und Bilder: Matt Wragg
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