Nathalie Schneitter holte sich Ende August 2019 auf ihrem brandneuen Trek Rail den Weltmeistertitel bei den ersten UCI E-MTB-Weltmeisterschaften, die jemals ausgetragen wurden. Hier berichtet sie vom Rennen und ihrem persönlichen Weg zu diesem historischen Titel.
Nathalie Schneitter startete ihre internationale Mountainbike-Karriere im Jahr 2004 mit dem Gewinn des Cross-Country-Weltmeistertitels bei den Juniorinnen. Seither ist sie Vollgas auf den Rennstrecken dieser Welt unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 sicherte sie sich den Heimsieg beim Cross-Country-Weltcup in Champéry. Vollgas gibt Nathalie auch neben der Rennstrecke: Sie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Sie ist Messeverantwortliche im Organisationsteam der Bike Days in Solothurn und des Urban Bike Festival in Zürich und spricht auf Red Bull TV den Deutschen Co-Kommentar des MTB Cross Country Weltcup. Am 28. August hat Nathalie Geschichte geschrieben und erkämpfte den Titel zur ersten offiziellen E-MTB-Weltmeisterin.
UCI E-MTB WM – ein Erfahrungsbericht
Die erste offizielle E-Mountainbike Weltmeisterschaft wird Geschichte schreiben! Das ist klar, seit die UCI vergangenes Jahr angekündigt hat, dass sie eine ebensolche veranstalten wird. Grund genug, mich für die Sache zu begeistern. Denn es ist höchste Zeit, dass das E-Bike sein verstaubtes Image ablegen kann und geschätzt wird für seine Stärken und die erweiterten Möglichkeiten.
Neben mir gibt es einige weitere Jungs und Mädels, die sich an der E-Bike WM im kanadischen Mont Sainte-Anne eine Medaille zum Ziel gesetzt haben. So zum Beispiel die mehrfache Four-Cross Weltmeisterin Anneke Beerten aus den Niederlanden oder auch die Radquer Spezialistinnen Caroline Mani (FRA) und Maghalie Rochette (CAN). Dem noch jungen Sport fehlen zwar noch die Helden, doch bei den Männern stehen gleich fünf olympische Medaillengewinner auf der Startliste. Dies sind weitaus mehr, als beim Cross Country Rennen am Start sind.
Meine WM-Vorbereitung ist fast ein Jahr alt. Von Skitouren im Winter, über das Trans Madeira Enduro Etappenrennen, bis hin zu Intervallen auf dem Rennrad, für den Fitness-Feinschliff. Da noch niemand wirklich Erfahrung mit dem Thema E-Racing gemacht hat, musste ich mir viel Wissen selber aneignen. Nicht nur einmal musste ich alte Überzeugungen über Bord werfen und durch neue Erkenntnisse ersetzen. E-Racing ist ein Teamsport: Nicht nur ich stehe als Athlet im Mittelpunkt, sondern auch mein Teampartner, mein e-powered Mountainbike. Nur wenn das Zusammenspiel von uns beiden harmoniert, können wir als Team erfolgreich sein.
Vier E-Cross-Country Rennen bin ich dieses Jahr gefahren und jedes hat neue Erkenntnisse geliefert. Zum Beispiel, dass E-Racing vor allem dann Sinn macht, wenn die Strecken so schwierig sind, dass sie ohne E-Unterstützung kaum zu bewältigen wären. Mittlerweile stehe ich mit einem 160mm E-MTB am Start und bin mir sicher, die richtige Materialwahl getroffen zu haben –Selbstvertrauen ist das A und O im Rennsport! Deshalb trage ich für E-XC Rennen auch aus voller Überzeugung Lycra!
Natürlich ist auch das Batterie-Management ein riesiges Thema und das selbst schon bei den 75 min, die das WM-Rennen dauern soll. Hier gilt es, eigene Erfahrung zu sammeln und ein Gefühl für das E-MTB zu entwickeln, denn die Reichweite der Batterie und damit auch die Renn-Strategie sind abhängig von Fahrergewicht und Fahrstil. Zum Batterien-Management zähle ich auch den Fakt, dass Batterien als Gefahrengut gelten und man deshalb nicht damit fliegen darf. Was das bei einer WM in Kanada für einen logistischen Aufwand bedeutet, kann sich wohl jeder selber ausmalen.
Die Besichtigung der E-WM Strecke beschert mir Schmetterlinge im Bauch. Ich hatte mir unnötig Sorgen gemacht, dass die Strecke nicht den E-MTB spezifischen Ansprüchen genügt. Für ein tolles Rennen braucht es technisch schwierige Anstiege, attraktive Abfahrten und möglichst wenige Flachstücke. Die Streckenbauer in Mont Sainte-Anne haben wirklich tolle Arbeit geleistet. Der Ort gilt seit Jahrzehnten als Kathedrale des Mountainbike Sports und mit dieser fulminanten Strecke der E-MTB WM bald wohl auch als Geburtsstätte des E-Racings.
Die letzten Stunden vor dem Start flattern die Nerven im Galoppschritt. Deshalb bin ich froh, dass mich der Bike-Check für einige Zeit beschäftigt. Jedes Bike muss bereits Stunden vor dem Rennen zur individuellen Kontrolle. Dabei wird der Radumfang bestimmt und eine Motorendiagnostik durchgeführt. Nach dem Check müssen die Bikes bis zur Startaufstellung in einer abgesperrten Zone bleiben, einem sogenannten «parc fermé». Der Motor darf danach erst auf der Startlinie eingeschaltet werden – alles Vorsichtsmaßnahmen, um E-Doping möglichst auszuschliessen.
Mein Herz rast schon auf der Startlinie. Rennsport ist unverzeihlich, keine Fehler sind erlaubt. Die Startrunde wird bereits zum Härtetest für mich. Die Startsteigung ist technisch relativ einfach und da ich nicht grade ein Fliegengewicht bin, tue ich mir bei solchen Passagen schwer. Technische Aufstiege sind meine Paradedisziplin, doch auch in den Abfahrten kann ich meine Stärken ausspielen. Ich erreiche die ersehnte erste Abfahrt als Zweite hinter der Kanadierin Maghalie Rochette. Am Ende der erste Runde unterläuft mir dann bei der Einfahrt zur legendären „La Béatrice“, einem spektakulären Rockgarden, der im XC Weltcup berühmt-berüchtigt ist, ein grober Fehler. Ich zögere, das Vorderrad rutscht weg, ich muss einige Meter zu Fuss zurücklegen und brocke mir dabei einen Rückstand von zehn Sekunden ein.
Maghalie sucht sofort die Flucht nach Vorne und für die verbleibenden Runden spielen wir Katz und Maus. In den Passagen, in denen ich stark bin, kann ich die Lücke jeweils wieder zu fahren. In den längeren Aufstiegen werde ich wieder abgeschüttelt. Die zahlreichen Fans am Streckenrand pushen mich ans Limit und in der letzten Runde kann ich tatsächlich noch einmal über mich hinaus wachsen. Es gelingt mir, den Rückstand in der letzten Runde minimal zu halten und direkt am Hinterrad von Maghalie in die letzte Abfahrt des Rennens einzubiegen, notabene wiederum „La Béatrice“.
Genau an derselben Stelle, wo ich mir in der ersten Runde den Rückstand einhandelte, attackiere ich und riskiere alles. Ich weiss genau, dass es meine einzige Chance ist das Rennen zu gewinnen. Meine Konkurrentin, total überrumpelt von der Aktion, braucht einen Moment um sich wieder zu fangen. Fünf Sekunden Vorsprung bringe ich mit auf die Ziellinie: Genug, um ausgiebig zu jubeln!
In Mont Saint-Anne wurde tatsächlich Geschichte geschrieben. Ich konnte nicht nur dabei sein, sondern mich als Weltmeisterin ins Regenbogentrikot einkleiden lassen. Was für ein Erlebnis, was für Emotionen! Ich bin glücklich, müde und sprachlos!
Wer mich kennt, der weiss, dass ich ungeheuer viele Fragen stelle. Ich will wissen wie und vor allem auch warum etwas funktioniert. Mit meinen Fragen habe ich früher meine Mechaniker an den Rand des Wahnsinns getrieben. Seit ich mich mit E-Mountainbikes auseinandersetze, kennt das mit der Fragerei kein Halten mehr. Ich bin Perfektionist und erst wenn ich 100% überzeugt bin, kann ich mit Selbstvertrauen an der Startlinie stehen.
Auf der Suche nach dem bestmöglichen Setup beschloss ich, zusammen mit meinen Partnern Mut unter Beweis zu stellen und mit dem brandneuen Rail von Trek Bikes an den Start zu gehen. Aus logistischen Gründen konnte ich das Bike jedoch erst zwei Tage vor dem Rennen im kanadischen Mont Sainte-Anne zum ersten Mal ausgiebig testen. Das Wissen um das neue Stahlross, das mich in Kanada erwarten wird, ließ mich daheim in theoretische Tiefen abtauchen, deren Wahrheitsgehalt sich erst vor Ort überprüfen ließ. Eine zentrale Rolle in der Vorbereitung spielte beispielsweise die Frage, welche Trittfrequenz die effizienteste Motorenunterstützung geniesst. Laut Theorie sind dies 76rpm. Etwas übertrieben findet ihr? Nun, im Hochleistungssport geht es meist um Sekunden.
Der neue Bosch Performance Line CX Motor ist eine Wucht. Er ist kleiner, leichter und effizienter und ermöglicht ein natürlicheres Fahrgefühl. Gewaltig spürbar ist der Unterschied beim Wiegetritt fahren und oberhalb der maximalen Unterstützungsgeschwindigkeit – es gibt beim neuen Motor praktisch keinen Tretwiderstand mehr! Um ihn aber optimal nutzen zu können, musste ich meinen Fahrstil etwas anpassen. Für die Umsetzung im Trainingsalltag bedeutete dies, dass ich sogar Intervalle auf dem Rennrad mit der Trittfrequenz gefahren bin, die mich in Theorie mit dem E-Bike am schnellsten den Berg hinauf bringt!
Da sich das Rail mit seinen 150/160mm Federweg und den 29-Zoll-Laufrädern ähnlich wie mein Slash Enduro-Bike fährt, war es kein Wunder, dass ich mich darauf sofort wohlfühlte. Natürlich kommt es nicht von ungefähr, dass ich diesen Sommer deshalb besonders viel Zeit auf dem Endurobike verbracht habe. In der unmittelbaren WM-Vorbereitung habe ich zudem ein 29er Vorderrad an mein E-Bike zu Hause montiert. Übung macht den Meister und die Vorbereitung auf das 29er Fahrverhalten war zentral.
Das Rail fühlt sich leicht und wendig an, Bunny Hop und Nose-Wheelies gelingen mir plötzlich auch auf dem E-Bike. Aber auch in engen Spitzkehren bergauf fühle ich mich wohl. Der Trick vom Profi für technische Aufstiege: Sattel runter! So ist der Schwerpunkt weiter unten und die Kraft vom Motor kann besser greifen, ohne dass bei dem temperamentvollen Stahlross das Vorderrad steigt oder dass man Gefühle erhält, in die Kurve hineinzufallen.
Fast ein ganzes Jahr Vorbereitung stecken in diesem E-MTB WM Projekt. Dass meine Planung, Theorien und Vorbereitungen so reibungslos aufgegangen sind, das ist schon fast ein Märchen. Ich freue mich sehr und bin schon gespannt, wo mich das nächste Abenteuer mit dem E-Bike hinführen wird.
Was haltet ihr von Rennformaten wir den UCI Weltmeisterschaften? Mögt ihr Profi-Rennen oder eher den Breitensport?
Du interessierst dich für E-Racing? Hier findest du alles rund um das Thema E-Racing auf eMTB-News.
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